Lady Helenes skandaloeser Plan
Stock, ohne noch einmal kehrtzumachen und Rees an die Kehle zu gehen, sich mit ihm zu prügeln. Denn genau dazu hatte sein Bruder ihn reizen wollen. Rees hatte nie über Kummer sprechen wollen, er hatte es immer schon vorgezogen, zu handeln. Tom hatte seinem Bruder einst die Nase gebrochen, und Rees hatte ihm sogar drei Mal ein blaues Auge geschlagen.
Und jedes Mal hatte ihr Vater vom Rand des Schlachtfeldes aus applaudiert und den Streit mit geschickt platzierten kleinen Bemerkungen geschürt, die seinen gottesfürchtigen und seinen gottlosen Sohn gegeneinander aufstachelten. Im Grunde waren sie aber nie so verschieden gewesen, wie der Alte sie haben wollte.
Ich wollte nie der Gottesfürchtige sein, dachte Tom. Nicht, wenn es auf Kosten meines großen Bruders ging, der zu meinem Gegenteil werden musste.
Er steckte seinen Kopf in die Kinderstube und schaute nach Meggin. Er hatte sie nicht dazu überreden können, sich in ein Bett zu legen, und hatte ihr schließlich eine Decke gegeben, aus der sie sich in einem Winkel ein Lager gemacht hatte. Sie schien friedlich zu schlafen. Tom zog sich mit einem Seufzer in sein Zimmer zurück. Wenn die Dinge anders lägen, würde er derjenige sein, der sich an einen Singvogel wie Lina schmiegte.
Er konnte es sich aber nicht vorstellen. Priesterkragen oder nicht, eine Frau wie Lina würde ihn niemals begehren.
13
Ein merkwürdiger Haushalt, in der Tat
Höchst verärgert stapfte Rees am nächsten Tag die Treppe hinunter. Er musste Tom sofort aus dem Haus werfen. Die unerträglichen Dinge, die sein Bruder am Vorabend gesagt hatte, gingen Rees nicht mehr aus dem Kopf. Er war mitten in der Nacht wach geworden und hatte sich gefragt, ob die Anwesenheit Linas irgendwie auf seinen Vater zurückzuführen sei, bis ihm klar wurde, dass Tom wie immer übertrieben hatte. Die Bücher hatten ihm das Gehirn vernebelt, das zumindest hatte Vater stets – Vater! Warum dachte er überhaupt an den Alten?
Mit einem Knall stieß er die Tür zum Frühstückszimmer auf – und blieb wie erstarrt stehen. Lina saß am Kopf der Tafel. Wenigstens hatte sie sich dazu durchgerungen, etwas Passables anzuziehen, statt im Negligé zu erscheinen, wie es ihren sonstigen Gepflogenheiten entsprach. Was ihn jedoch noch mehr erstaunte, war ein kleines Mädchen neben Tom, das ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war.
»Du hast mir nicht gesagt, dass du eine Tochter hast!«, rief er, während sein Blick zwischen den beiden hin- und herging. Sie sahen einander sehr ähnlich: Die Kleine sah genauso unschuldig aus wie Tom, als er ein Junge gewesen war. Sein Bruder hatte offensichtlich ein Kind gezeugt. Seine Gedanken rasten. Tom, der Vater eines unehelichen Kindes?
»Das ist Meggin«, sagte Tom und strich kurz über den Kopf des Mädchens. »Und sie ist nicht meine Tochter.«
Meggin schaute zu Rees auf. »Ich gehör zu Mrs Fishpole.«
»Gehöre«, berichtigte Tom.
Natürlich. Meggin musste einer von Toms herrenlosen Streunern sein. Als Kind hatte er immer Tiere aufgelesen. Und nun, als Geistlicher, hatte er mutmaßlich seine Mildtätigkeit auf Menschen ausgedehnt. Rees trat an den Tisch und nickte Leke zu, der ihm einen Teller mit russischen Eiern reichte.
»Du hast einen ausgezeichneten Koch«, lobte Tom begeistert.
»Du hast also meinen Bruder bereits kennengelernt?«, sagte Rees zu Lina und ließ sich auf den Stuhl neben ihr fallen. Sie nickte, während sie in eine Toastscheibe biss. Offensichtlich hielt sie wieder einmal Diät. Rees fand das bedauerlich, denn es machte sie zänkisch. Im Vergleich zu Helene war sie allerdings recht füllig. Nicht unbedingt untersetzt, aber ihre Taille musste wohl den doppelten Umfang haben.
Rees hatte immer schon gefunden, dass man ein unangenehmes Thema am besten anging, indem man es einfach ansprach. Schonungslose Ehrlichkeit hatte ihn immer am weitesten gebracht, obwohl sie, wie er zugeben musste, in seiner Ehe nicht gut funktioniert hatte. »Heute hole ich Helene ins Haus«, verkündete er unvermittelt und gabelte ein paar Fetzen Ei auf.
»Du kannst das, was du gestern Abend gesagt hast, doch unmöglich ernst gemeint haben?«, fragte Tom ungläubig.
Lina war der Toast aus der Hand gefallen. »Helene, deine Frau?!« Sie schnappte nach Luft.
Rees hätte möglicherweise ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn er nicht einen Funken Aufregung in Linas Augen entdeckt hätte. Wenn er ihrer schon überdrüssig war, dann musste sie sich mit ihm zu Tode gelangweilt haben.
Weitere Kostenlose Bücher