Lady Helenes skandaloeser Plan
werden?
Sie instruierte folglich Mrs Crewe, auf Besuch gefasst zu sein, und zog dann ein überaus gewagtes Morgenkleid – auch aus Madame Rocques Werkstatt – an, um all jenen ein Schauspiel zu bieten, die ihren Auftritt am Vorabend verpasst hatten. Das Morgenkleid entsprach in Stil und Schnitt dem Kleid, das sie auf dem Ball getragen hatte: Zwar war der Schnitt des Mieders fast prüde zu nennen, der Stoff jedoch so dünn, dass er locker ihren Körper umspielte und jegliche Rundung präsentierte.
Ein Wermutstropfen in ihrem neuen Hochgefühl war jedoch, dass sie am frühen Morgen ihren Monatsfluss festgestellt hatte. Nur der Umstand, dass sie sich die Wimpern geschminkt hatte, hielt sie davon ab, in Tränen auszubrechen. Und erst als sie die Karte der ersten Besucherin las, die Mamas Butler ihr gebracht hatte, streifte Helene ihre Niedergeschlagenheit ab wie eine Schlangenhaut.
Ihr Herz begann schneller zu schlagen, und ihre Wangen nahmen ein Rot an, das sich keinem Rouge verdankte. »Wie konntest du nur?«, rief sie in dem Moment aus, als die Tür aufging. Denn seit dem Aufwachen hatte sie erwogen, Esme tüchtig die Ohren langzuziehen.
Allerdings kam Esme nicht allein, sondern mit William, ihrem fröhlichen Einjährigen, im Schlepptau. William sah keinen Sinn in selbstständiger Fortbewegung, sondern vertraute darauf, dass sein Kindermädchen Ivy ihn schon nicht stolpern lassen würde. So hielt er sich mit einer Hand an ihrem Finger fest und zeigte mit der anderen auf Helene, weil er zu ihr wollte. Gehorsam brachte Ivy ihn zu der gewünschten Person. William hatte das goldene Haar und die blauen Augen seines Vaters, das verschmitzte Funkeln in seinen Augen jedoch von Esme geerbt.
»Hallo, mein kleiner William!«, rief Helene und breitete die Arme aus. William ließ die Hand seiner Kinderfrau los und torkelte auf sie zu. Helene nahm ihn hoch und kitzelte ihn, dann pflanzte sie Küsse auf seine Locken. Er roch so gut, nach Milchpudding und nach Baby.
»Das hast du ja clever eingefädelt«, bemerkte Helene und sah Williams Mutter tadelnd an.
»Ich weiß«, sagte Esme fröhlich. »Vermutlich wolltest du mich ins Verlies werfen lassen, Darling, und der Herrgott weiß, dass ich es verdiene.« Sie wandte sich an Ivy. »Ich denke, William wird gern eine Weile bei uns bleiben, Ivy, Sie können also Mrs Crewe begrüßen gehen.«
Williams Kindermädchen knickste und verließ unverzüglich das Zimmer. »Ivy ist in einen meiner Reitknechte verliebt«, erzählte Esme. »Jetzt wird sie aus der Haustür schauen und den armen Jungen zur Verzweiflung treiben.«
»Wie konntest du nur so etwas tun?«, schalt Helene. Streng zu bleiben fiel allerdings schwer, wenn das Morgenzimmer von Williams fröhlichem Gurgeln widerhallte. »Wie konntest du es wagen, Rees von meinen Absichten zu unterrichten?«
»Es war die zweckmäßigste Lösung«, erklärte Esme nicht im Mindesten schuldbewusst. »Immerhin habe ich mich vor zwei Jahren intensiv mit dem Problem unehelich geborener Kinder auseinandergesetzt. Miles und ich hatten ja zehn Jahre nicht mehr zusammengelebt, und er war in Lady Childe verliebt. Am Ende habe ich mich aber entschlossen, mich lieber mit meinem Mann zu versöhnen, statt ein uneheliches Kind zur Welt zu bringen. Und dasselbe gilt auch für dich.«
»Du hättest es mir vorher sagen sollen«, schimpfte Helene. »Es war eine furchtbare Demütigung. Du hättest nur Maynes Gesicht sehen sollen, als Rees …«
»Nein, warte!«, rief Esme. »Du darfst erst erzählen, wenn Gina da ist. Sie hat versprochen, sich zu beeilen, und gedroht, mich zu ermorden, wenn du mir vor ihrem Eintreffen alles erzählst. Wir sterben beide vor Neugier. Und sage deinem Butler Bescheid, dass du
mindestens
eine Stunde lang keine Morgenbesuche empfängst. Dir ist doch klar, dass sich ganz London hier einfinden wird?«
»Natürlich«, erwiderte Helene gereizt. »Würde ich sonst dieses luftige Gewand tragen? Jede auf Skandal versessene Ehefrau von hier bis York wird auf meiner Schwelle stehen.«
»Ehefrauen!«, rief Esme. »Wer schert sich denn um Frauen? Sämtliche
Männer
Londons werden zu dir kommen, und deshalb ist es von größter Wichtigkeit, dass du hinreißend aussiehst. Weißt du übrigens, dass dir diese Lippenfarbe ausgezeichnet steht? Dein Mund sieht aus wie eine reife Beere.«
»Du klingst wie der übelste Speichellecker. Was für törichte Komplimente ich mir letzte Nacht anhören musste! Zum Beispiel von Gerard Bunge, der beim
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