Lady Helenes skandaloeser Plan
im Kerzenschein aussah wie dunkle Kohle mit einem Feuerrand und seine Augen wie dunkle Teiche. Nun war es an der Zeit, ehrlich zu sein. »Ich habe immer schon gewusst, dass du von uns beiden der wahre Musiker bist«, gestand sie. »Deshalb hätte ich nie gedacht, dass du auf mein Lob Wert legen würdest.« Sie schaute auf ihre Hände. »Ich wollte immer nur, dass du mich für klug hältst.«
Rees schwieg. Endlich wagte sie aufzuschauen und stellte fest, dass er sie eindringlich musterte. Er hatte sehr schöne Augen mit dichten schwarzen Wimpern.
»Du wolltest, dass
ich
dich für klug halte«, wiederholte er.
Helene hob entschlossen das Kinn: Wer A sagt, muss auch B sagen. »Ich lausche deinen Opern aufmerksamer als allen anderen Werken«, gestand sie. »Mehr als eine Vorstellung kann ich ja nicht besuchen, das würde seltsam aussehen. Deshalb höre ich ganz konzentriert zu, um dir etwas – irgendetwas – sagen zu können, das dir zeigen soll, dass ich nicht …« Sie senkte die Augen. »Ich habe mich ganz abscheulich benommen«, sagte sie sehr leise. »Ich schäme mich wirklich.«
Rees streckte seine Hand aus und hob ihr Kinn, sodass die Augen seiner Frau, diese erstaunlich ehrlichen grünen Augen, ihn anschauen mussten. »Haben dir Teile des
Elefanten
wirklich gefallen?«
»Die Oper war wunderbar«, erklärte sie ernsthaft. »Sie hat allen gefallen, Rees, das weißt du doch.«
»Zum Teufel mit allen. Hat sie
dir
gefallen?«
»Natürlich.«
Er ließ seine Hand mit einem bellenden Lachen sinken. »Weißt du eigentlich, wie ich arbeite, Helene? Weißt du das?«
Sie starrte ihn verwirrt an. »Nein.«
»Ich sitze so da und spiele dies und das, und dann denke ich:
Was würde Helene dazu sagen?
Und dann höre ich deine Stimme. Du sagst, dies ist schlecht geschrieben, und jenes ist langweilig und – manchmal! – pfiffig. Aber nie sagst du, es sei wunderbar.«
»Oh, Rees!«, stieß Helene entsetzt hervor. »Ich hatte ja keine Ahnung!«
»Das habe ich mir schon gedacht«, erwiderte er wieder mit jenem kleinen Halblächeln.
Ein merkwürdiges Schweigen schwebte zwischen ihnen. »Ich komme mir so dumm vor«, sagte sie schließlich bekümmert. »Neun Jahre lang habe ich deine Musik immer wieder zerpflückt, nur damit ich mir klug vorkam.« Sie konnte ihn nicht einmal ansehen, so sehr schämte sie sich.
»Du warst nie dumm«, sagte Rees. Er klappte den Klavierdeckel so ungestüm hoch, dass die Kerzen im Luftzug flackerten. »Was hältst du davon, wenn ich diesen Teil in b-Moll setze und ab dem
Cantabile
in D-Dur übergehe?«
»Warum eine Durtonart?«, fragte Helene und war sogleich wieder Feuer und Flamme. Sie probierte sie aus. »G-Moll würde an dieser Stelle dunkler und interessanter klingen.«
»Ich möchte aber an der Stelle einen geistreichen Nachklang haben und keine Schwermut«, entgegnete Rees, schob sie beiseite und demonstrierte ihr, was er meinte.
Helene schaute auf seine kräftigen Hände und dann auf sein schwarzes Haar, das im Kerzenschein glänzte, und auf seine breiten Schultern. Alles hat sich verändert, dachte sie.
»Du hörst ja gar nicht zu«, mahnte Rees. »Jetzt pass auf!«
»Spiele es dieses Mal langsamer«, schlug sie vor. »
Andante
.«
22
Ein Vikar verliebt sich
Tom fand das Frühstückszimmer leer vor. Er war kein Mann, der sich Selbsttäuschungen hingab: Er wusste ganz genau, dass er an der Tür stehen geblieben war, weil er Lina nirgends entdecken konnte. Die Abwesenheit seines mürrischen Bruders oder dessen unbegreiflicher Frau war ihm dagegen völlig gleichgültig.
»Möchten Sie Bücklinge, Mr Holland?«, erkundigte sich Leke.
»Nein, danke, Leke. Nur eine Tasse Kaffee und Toast, bitte.« Er konnte sich nicht dazu durchringen, nach Lina zu fragen. »Hat mein Bruder schon gefrühstückt?«
»Lord Godwin liegt noch zu Bett«, antwortete Leke. »Er hat gestern Abend noch lange am Klavier gesessen.« Nachdem er einige Teller von einem Beistelltisch abgeräumt hatte, verließ der Butler das Zimmer.
Tom nahm Platz und ertappte sich bei der Vorstellung, wie Lina morgens wohl aussähe, wenn sie verschlafen und verstrubbelt war. Und sogleich überfiel ihn der Drang, nach oben zu laufen und an ihre Tür zu klopfen. Normalerweise gehörten gottlose Versuchungen dieser Art nicht zu Toms Leben. Seine Gemeinde war klein, denn die wenigen Landjunker in Beverley zogen den Gottesdienst im noblen Münster vor. Dennoch war Tom in den Augen der Mütter heiratsfähiger Töchter ein
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