Lady Helenes skandaloeser Plan
Bettler keinen roten Heller gaben.
»Ich könnte für ihren Unterhalt aufkommen.«
»Sie? Ein Vikar?« Lina brach in Lachen aus. »Ich kann mir denken, was Sie so im Jahr verdienen, Mr Holland. Es grenzt bereits an ein Wunder, dass Sie genug Geld für die Reise nach London hatten. Wie Sie mit Ihrem Einkommen ein Waisenkind unterstützen wollen, kann ich mir nicht vorstellen!«
»Wie viel verdiene ich denn Ihrer Meinung nach?«
»Natürlich könnten Sie Geld aus Pachtzinsen einnehmen, aber Ihre Pfründe dürfte höchstens zweihundert Pfund im Jahr abwerfen. Fast genug, um dieses Kleid zu bezahlen.« Und sie berührte versonnen eine der reichen Falten.
Lina trug ein rotes Morgenkleid im russischen Stil mit weißen Quasten auf den Schultern. Sie sah anbetungswürdig und sündhaft teuer aus. Tom hatte für das Erbe seiner Mutter bislang kaum eine andere Verwendung gehabt, als damit wohltätige Einrichtungen zu unterstützen, doch nun sandte er ein flüchtiges Dankgebet zum Himmel. Wenn Lina nur wollte, würde sie die bestgekleidete Pastorenfrau des Königreiches sein. »Hat sich die Anschaffung dieses Kleides in Ihren Augen gelohnt?«, fragte er und legte seinen Arm auf die Sofalehne, ohne jedoch ihre Schulter zu berühren. »Denn Sie sehen ganz hinreißend darin aus.«
»Natürlich hat sich die Anschaffung gelohnt! Mir gefällt ganz besonders der seidenbesetzte Saum, er ist dieses Jahr groß in Mode. Man darf gar nicht wagen, ohne einen solchen Saum vor die Tür zu gehen.«
»Und würde ein Kleid wie dieses mehr kosten als der Unterhalt, den ich einer Familie für Meggin pro Jahr bezahlen müsste, was meinen Sie?«
Sie kniff die Augen zusammen. »Dieser Trick gefällt mir gar nicht, Reverend. Glauben Sie mir, ich besitze viel Erfahrung darin, Schuldgefühle abzuwehren. Und Sie sinken schwer in meiner Achtung, wenn Sie versuchen, mir welche einzuimpfen. Ich bin keines Ihrer frommen Schäfchen.«
Tom grinste. »Ganz sicher nicht. Was mir übrigens sehr leidtut.«
Lina zuckte die Achseln. »Sie sind nun mal ein Priester. Was kann man von Ihnen schon anderes erwarten?« Und mit einem Mal schien sie jegliches Interesse an ihm verloren zu haben und musterte ihn, als wäre er lediglich ein lästiger Hausgast, dem sie die Zeit vertreiben musste. »Ich werde Rees bitten, Mrs Fishpole zu unterstützen«, sagte sie dann. »Er kann es sich leisten und hat mir noch nie eine Bitte um Geld abgeschlagen.« Doch ihr Ton war nüchtern, ohne Triumph.
Tom schaute ihr gerade in die Augen, bis sie schließlich den Blick senkte. Dieser Vikar mit seinen klaren grauen Augen verwirrte sie. Es liegt nur daran, dass er Rees so ähnlich sieht, hatte sie sich vergangene Nacht einzureden versucht. Denn sie hatte Rees glühend geliebt. Und nun saß ihr dieser Vikar gegenüber, der Rees’ widerspenstiges Haar und Rees’ stämmigen Körper besaß und dazu Augen, die bis in den tiefsten Winkel ihrer Seele blicken wollten. Wie irritierend!
»Würden Sie das Kleid nicht lieber verkaufen?«, fragte er nun.
»Da wir so ausgiebig über meine Kleidung sprechen, kann ich nur den Schluss ziehen, Sie möchten mich
ohne
mein Kleid sehen.« Sie lehnte sich zurück und schenkte ihm ihr verführerischstes Lächeln, das sie stundenlang geübt hatte.
Er musterte sie eindringlicher als jeder Mann vor ihm, eindringlicher selbst als ihre Mutter, wenn Lina Brombeeren aus Mrs Girdles Garten gemopst hatte. »Das versteht sich doch von selbst.« Er grinste und Lachfältchen erschienen um seine Augen. »Kein Mann auf Erden könnte diese vielen Knöpfe betrachten, ohne dass es ihn in den Fingern juckte.«
Lina konnte nicht anders, als sein Grinsen zu erwidern, auch wenn er ein Geistlicher war und somit einer Spezies angehörte, die ihr nicht sonderlich zusagte. »Ich habe immer gedacht, ein Mann Gottes wäre über derlei Gefühle erhaben«, sagte sie kess. »Sollten Sie nicht in Ihrem Zimmer auf den Knien liegen und für die Reinheit Ihrer Seele beten?«
»Wer hat Ihnen gesagt, dass Priester keine Gefühle haben?« Er wirkte nun äußerst belustigt. »Kann es meiner Seele schaden, Sie zu lieben, Lina? Sie sind das schönste Geschöpf Gottes, das ich je erblickt habe.«
»Liebe?«, rief sie aus. »Jetzt haben Sie sich aber verraten, Reverend!«
»Nein, das habe ich nicht«, erwiderte er still. Eine leise Berührung ihrer Wange, und schon verstummte ihr wieherndes Gelächter. Wieder schaute er sie auf diese besondere Weise an.
Lina wurde allmählich nervös.
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