Lady Lavinias Liebestraum
wahr?”
“Natürlich, meine Liebe”, versicherte er ihr mit einer Verbeugung. “Bis morgen Nachmittag.”
Nachdem James gegangen war, ließ Lavinia sich auf der Chaiselongue nieder und versank in Gedanken über die Unterhaltung, die sie geführt hatten, über ihre freimütige Art, mit James umzugehen, und seine Reaktionen darauf, die von seinem Humor und seiner Toleranz zeugten. Sie dachte vor allem darüber nach, woher die Unruhe kam, die sich ihrer bemächtigte, sobald er in der Nähe war. Sie hatte sich dies zuvor nicht bewusst gemacht, doch ahnte sie nun, es könne etwas damit zu tun haben, dass sie eine Frau geworden war. Sie musste sich wohl in Zukunft davor hüten, zu ungezwungen, fast intim mit ihm zu plaudern, auch wenn sie ihn gut kannte und ihm vertraute.
Seufzend erhob sie sich und ging wieder auf ihr Zimmer, um dort in aller Ruhe zu lesen und über die Rollenverteilung nachzusinnen. Nach etwa anderthalb Stunden schlug sie das kleine Büchlein zufrieden zu und rief Daisy herbei, damit sie ihr die Frisur arrangiere.
Als sie später in das Gesellschaftszimmer zurückkehrte, fand sie die Duchess of Loscoe mit Lord Edmund Wincote um den kleinen runden Tisch sitzend vor. Sie tranken Tee und schienen sich gut zu unterhalten.
Kaum hatte sie den Raum betreten, sprang Wincote auf und eilte ihr entgegen. “Lady Lavinia, Ihr Diener”, begrüßte er sie mit einer Verbeugung.
Lavinia nickte freundlich und versuchte sich möglichst gelassen zu geben. “Lord Wincote. Wie geht es Ihnen?”
“Sehr gut – und Ihnen?”
“Hervorragend, Mylord.”
Beide tauschten vielsagende Blicke, bevor er sie an den Tisch geleitete, wo die Stiefmutter sie mit einer Geste aufforderte, sich zu setzen.
“Welchem Umstand haben wir es zu verdanken, dass Sie uns die Ehre Ihres Besuches erweisen, Mylord?”, fragte Lavinia.
“Ich habe mir endlich eine kleine Kutsche und zwei Pferde gemietet, Lady Lavinia, und möchte Sie nun herzlich bitten, mich auf einer kurzen Fahrt durch den Park zu begleiten – mit Erlaubnis Ihrer Gnaden natürlich.” Er wandte sich zu der Gastgeberin. “Sie möchten uns vielleicht sogar Gesellschaft leisten.”
“Vielen Dank, ich habe noch einiges zu tun”, erklärte sie. “Leider kann ich heute auch nicht auf die Hilfe meiner Tochter verzichten. Ein andermal vielleicht.”
Der junge Mann räusperte sich. “Natürlich. Es war auch nur ein spontaner Einfall zu fragen, ob Lady Lavinia die Erste sein möchte, die den Phaeton mit mir ausprobiert. Es ist das neueste Modell.”
“Ein Phaeton, sagen Sie? Ist es ein großer wie der des Earl of Corringham?”, erkundigte Lavinia sich freudig erregt.
“Nein, Lady Lavinia, es ist ein bescheideneres Modell und auch sicherer. Haben Sie morgen Zeit?”
Lavinia lächelte schelmisch. “Aber Mylord! Wir werden noch ins Gerede kommen, wenn Sie uns so häufig besuchen.”
Wincote wurde bleich. “Es liegt mir fern, Ihnen Unannehmlichkeiten zu bereiten.”
“Besuchen Sie mich dennoch morgen Nachmittag”, betonte sie. “In der Tat, ich wäre hocherfreut.” Ihre Bekundung entlockte dem sichtlich erleichterten jungen Mann ein breites Lächeln, welches jedoch sogleich wieder verblassen sollte.
“Dann kommen nämlich all meine Freunde, die an dem Theaterstück teilnehmen werden. Ich beabsichtige die Rollen zu verteilen”, fügte Lavinia rasch und mit unschuldiger Miene hinzu.
“Oh”, brachte er enttäuscht hervor, hatte er doch gehofft, die junge Dame allein anzutreffen. Seine Züge entspannten sich wieder. “Ich wäre entzückt, Lady Lavinia.”
Sie erhob sich und gab ihm so zu verstehen, dass er jetzt zu gehen habe. Wincote, etwas verwirrt ob des Eindrucks, in seine Schranken verwiesen worden zu sein, brachte kein Wort mehr hervor, sondern empfahl sich den Damen mit einer knappen Verbeugung und verließ den Raum.
Als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, setzte Lavinia sich wieder hin. Die Duchess stellte ihre Tasse auf dem Tisch ab und lehnte sich zu der Stieftochter vor. “Habe ich mich getäuscht, oder war das wieder eines deiner Schelmenstücke, mein Kind?”
“Er ist so unglaublich ernst und korrekt, Mama.”
“Ist das etwa verwerflich?”, fragte die Duchess of Loscoe erstaunt.
“Nein, aber ich frage mich, ob Lord Wincotes Gebaren, mit dem er mich offensichtlich für sich zu gewinnen trachtet, womöglich nur aufgesetzt ist.”
“Das kann gut sein”, räumte die Stiefmutter ein. “Die Zeit wird es zeigen. Ich bin sehr
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