Lady Lavinias Liebestraum
hat seinen Besuch für morgen, oder besser, für heute angekündigt – es ist ja bereits nach Mitternacht”, bemerkte Lavinia.
“Du wirst ihn unter keinen Umständen allein empfangen”, mahnte die Stiefmutter.
“Das beabsichtige ich auch nicht zu tun, Mama”, erwiderte die junge Frau lachend. “Er weiß nicht, dass ich für morgen eine Probe anberaumt habe. Er wird einer von vielen Gästen sein.”
Die Duchess of Loscoe musste schmunzeln. “Du kannst es wohl nie lassen, dir derlei Späße zu erlauben. Dieses Gebaren kann ich nur als unhöflich bezeichnen. Wenn du den Gentleman nicht ernst zu nehmen gedenkst, solltest du ihm ohne große Umschweife einen Korb geben.”
“Oh, ich nehme ihn sehr wohl ernst. Ich möchte ihn nur ein wenig auf die Probe stellen”, erklärte sie, als die Kutsche vor der Loscoe’schen Stadtresidenz vorfuhr. “Aber bitte kein Wort zu James.”
Der Duke horchte auf. “James?”, fragte er die Gemahlin, nachdem er Lavinia aus der Chaise geholfen hatte und nun Frances die Hand reichte, damit sie aussteigen konnte. “Was hat er mit dieser Angelegenheit zu tun?”
Frances schaute den Gatten mit bedeutungsvoller Miene an. “Oh, ich denke eine ganze Menge”, sagte sie leise, unhörbar für Lavinia, die eben die prachtvolle Eingangshalle betrat.
6. KAPITEL
A m nächsten Tag stattete Lavinia gemeinsam mit der Stiefmutter Lady Graham die übliche Morgenvisite ab. Man hätte meinen können, die Gäste des gestrigen Abends seien nahezu vollzählig erschienen, so viele Besucher scharten sich im Gesellschaftszimmer um die Chaiselongue, auf der die Dame des Hauses völlig ermattet ruhte. Lavinia verwunderte es kaum, dass nur über ein einziges Thema gesprochen wurde: den Raub des Diamantencolliers.
“Als sei es nicht genug, dass ich mir Vorwürfe mache, muss mich überdies mein Gemahl schelten, ich sei zu unaufmerksam gewesen”, klagte Ihre Ladyschaft, noch immer kreidebleich.
“Es muss ein erfahrener Dieb am Werk gewesen sein. Unter den Anwesenden wird er nicht zu finden sein, da wir doch wohl für jeden Einzelnen bürgen können”, bemerkte die Duchess of Loscoe nachdenklich.
“Nun, Lady Rattenshaw zum Beispiel kannte ich bis dato nicht”, bemerkte eine der Damen in arrogantem Ton.
“Sie kam in Sir Percys Begleitung. Folglich könnten Sie ebenso gut ihn des Diebstahls bezichtigen”, gab die Duchess spitz zurück.
“Überdies scheint sie ungemein wohlhabend zu sein. Davon zeugen ihre Juwelen. Lord Corringham versicherte mir, sie seien echt”, betonte Lavinia.
“Lord Wincote war uns allen übrigens auch unbekannt, bevor er aus dem Nichts in unserem Kreis aufgetaucht ist”, ließ eine junge Frau verlautbaren, die vor dem Kamin auf einem Sheratonsessel Platz genommen hatte.
“Wer wagt es, Lord Wincote zu verdächtigen?”, entgegnete Lavinia pikiert. “Er ist ein vollendeter Gentleman.”
“
Sie
müssen es ja wissen, Lady Lavinia, denn immerhin haben Sie ein Auge auf ihn geworfen”, erklärte eine andere junge Dame süffisant.
Lady Graham nahm Lavinia die Möglichkeit, auf diese unverschämte Bemerkung gebührend zu antworten. “Ich bin es leid, darüber zu spekulieren. Lord Graham wird es nicht zulassen, dass einer unserer Gäste des Diebstahls bezichtigt wird. Major Greenaway wird in der Angelegenheit vorsprechen und sich erkundigen, ob mein Schmuck zum Kauf angeboten wurde. Nun Schluss damit.”
Einige Gäste empfahlen sich daraufhin, und auch Lavinia wollte sich gerade verabschieden, als der Earl of Corringham angekündigt wurde. Nachdem er Lady Graham seine Aufwartung gemacht und einige Worte mit ihr gewechselt hatte, wandte er sich zu Lavinia. “Dich zu dieser frühen Stunde hier zu sehen, Lavinia, erstaunt mich doch, wie ich gestehen muss. Du siehst ungewöhnlich frisch aus.”
“Mylord, ich gehöre nicht zu den Langschläfern”, erwiderte sie schnippisch, obwohl sie wusste, dass James’ Worte nicht wirklich ernst zu nehmen waren.
“Der gestrigen Feierlichkeiten wegen hätte ich es nicht verwunderlich gefunden, wenn du den Vormittag noch Ruhe gesucht hättest”, beeilte James sich zu betonen.
Lavinia reckte das Kinn. “Der Ball dürfte mich nicht mehr in Anspruch genommen haben als all die anderen Gäste hier, sonst wären sie nicht so vollzählig erschienen.”
“Was du nicht sagst”, entgegnete er trocken und hob, was sie gleichermaßen verwunderte wie erboste, mit dem Hauch eines ironischen Lächelns um den Mund eine Braue. “Da habe
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