Lady Marys romantisches Abenteuer
Sachen nehmen. Ich werde mit nichts zurückbleiben, Mylord – mit nichts! Oh, haben Sie Mitleid mit einem alten Mann!“
„Sicherlich, wenn Sie mir die Wahrheit erzählen“, entgegnete John, dem Dumonts Schauspielkünste schon zu vertraut waren, um sie noch ernst zu nehmen. „Wie kamen Sie an das Bild des Engels?“
Dumont nickte bereitwillig. „Es wurde mir letzte Woche gebracht, Mylord, von einem Ausländer, vielleicht einem Holländer. Er sagte mir, es bereite ihm Kummer, ein so schönes Bild zu verkaufen, aber seine Lage sei verzweifelt. Es ist eine ganz gewöhnliche Geschichte, Mylord.“
„Das kann ich mir vorstellen“, meinte John trocken. „Wie viel gaben Sie ihm dafür?“
„Drei Livres“, antwortete Dumont so prompt, dass John überzeugt war, der unglückliche Holländer hatte nur die Hälfte der Summe erhalten. „Wie Sie selbst bemerkt haben, Mylord, ist es ein altmodisches Gemälde und nur sehr schwer zu verkaufen.“
„Warum dann, zum Teufel, haben Sie es mir nicht verkaufen wollen?“, fragte John. „Die Wahrheit jetzt.“
Zerknirscht senkte Dumont den Kopf. „Die Wahrheit, Mylord, ist, dass ich wusste, Ihre Ladyschaft würde mir für das Bild mehr bezahlen als Sie. Und das tat sie dann ja auch.“
„Die Wahrheit, die Wahrheit.“ John seufzte und richtete sich auf. Er zweifelte nicht, dass das die Wahrheit war, oder zumindest alles, was er heute von Dumont erfahren würde. Und für dieses bisschen Wahrheit würde Lady Mary ihm keine besondere Dankbarkeit zeigen. Aber die halbe Wahrheit war besser als gar keine, und ein einziges Lächeln von Lady Mary – nun das war alle Wahrheiten von Calais wert.
3. KAPITEL
„Wo bist du nur gewesen?“ Erschöpft presste Diana eine Hand gegen die Schläfe, als wäre es einfach eine zu große Anstrengung für sie, ihre Schwester zu begrüßen. Es war gestern eine stürmische Kanalüberquerung gewesen, und sie hatte länger gedauert, als man ihnen gesagt hatte. Während Mary sich als wahrer Seemann erwiesen hatte, mit einem Magen aus Eisen, litten ihre Schwester, Miss Wood und ihre Zofe Deborah so sehr unter dem Wellengang, dass man sie letzte Nacht beinahe von Bord tragen musste. Und noch bevor sie sich in ihr Gasthaus zurückziehen konnten, um sich auszuruhen oder wenigstens die Kleider zu wechseln, hatten sie beim Gouverneur ihre Namen hinterlassen müssen, wie es das französische Gesetz vorschrieb. Dann waren sie zum Zoll gegangen, wo sie warten mussten, während ihr Habe durchsucht, aufgelistet und geschätzt worden war. Die Beamten erwarteten auf Schritt und Tritt ihr Schmiergeld, hielten die Hand auf, bevor sie irgendeinem Engländer erlaubten, die Stadt zu betreten. Nach solch einer Tortur war es wirklich kein Wunder, dass die drei Frauen sich diesen ganzen Tag lang zurückgezogen hatten, um sich zu erholen.
Diana lag im Bett, gegen einen Berg von Kissen gelehnt. Obwohl es schon später Nachmittag war, waren die Vorhänge immer noch geschlossen. Ein Tablett mit einer Teetasse und kaltem Toast zeigte, dass Diana wohl versucht hatte, etwas zu sich zu nehmen, es ihr aber nicht gelungen war.
Sie stöhnte und warf mit dramatischer Geste einen Arm auf die Laken. „Oh Mary, wie sehr ich dich vermisst habe!“
„Ich habe dich auch vermisst, Lämmchen.“ Mary beugte sich vor und küsste ihre Schwester auf die Stirn. „Zumindest hast du jetzt wieder ein wenig Farbe. Du musst auf dem Weg der Besserung sein.“
„Danke.“ Diana lächelte, glücklich darüber, sie wiederzuhaben. „Wenn es auch nicht einfach war, weißt du. Miss Wood und Deborah geht es sehr schlecht, und die Diener weigerten sich, etwas anderes als dieses scheußliche Französisch zu sprechen!“
„Natürlich sprechen sie Französisch, Diana. Das hier ist Frankreich. Hättest du während unseres Unterrichts bei Miss Wood besser aufgepasst, hättest du jetzt überhaupt keine Schwierigkeiten.“ Mary ging durchs Zimmer zum Fenster, zog die Vorhänge auf und ließ das schwache Sonnenlicht in den Raum. „Ich war höchstens eine Stunde fort. Als ich dich verließ, hast du tief geschlafen.“
„Aber als ich aufwachte, warst du nicht da.“ Diana hob die Hand vor die Augen, um sich vor dem Licht zu schützen. „Es scheint, du warst viel länger als nur eine Stunde fort.“
„War ich nicht.“ Eine Stunde, wunderte sich Mary. Wieso kam es auch ihr so viel länger vor? Nur eine Stunde. Die Zeiger ihrer kleinen goldenen Uhr bewegten sich weder schneller noch langsamer als
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