Lady Marys romantisches Abenteuer
Mylord. Kein Fleck neue Farbe oder Blattgold an einer falschen Stelle oder etwa Pinselstriche, die von einer nachträglichen Veränderung zeugten. Nichts.“
Er vertraute ihren Augen und ihrem Gefühl. Eigentlich wusste er nicht warum, da sie doch keine Erfahrung besaß, aber er tat es. Hatte er nicht bereits vor langer Zeit gelernt, dass es viele Dinge im Leben gab, die man nur spüren, die einem niemand beibringen konnte?
„Haben Sie auch den Rahmen untersucht?“, fragte er. „Der ist neueren Datums, wissen Sie.“
„Oh, ich weiß“, sagte sie und zeigte jetzt wieder all das Selbstbewusstsein, das ihr bei Tisch so gefehlt hatte. „Blattgold auf Gips, wahrscheinlich höchstens zwanzig, dreißig Jahre alt. Und das Bild ist von einem größeren Gemälde abgeschnitten worden: Der Rand passt nicht in diese Ecken hier.“
Das hatte er noch gar nicht bemerkt. Jetzt sah er es. Die gewundenen Eichenblätter und die Eicheln an der Rahmenkante waren unbeholfen zusammengefügt, sodass die Zweige nicht auf die gleiche Art zusammenpassten wie in den beiden anderen Ecken. Es war richtig gewesen, ihrem Urteil zu vertrauen.
„Dann haben Sie natürlich auch die Innenseite des Rahmens untersucht?“
„Wohl um sicherzugehen, dass man ihn nicht ausgehöhlt und Dublonen von Piraten drin versteckt hat?“ Sie versuchte zu scherzen, doch beide wussten, dass diese Angelegenheit hier viel zu ernst war.
Mary seufzte und ließ ihre Hand wie tröstend auf dem Rahmen ruhen. „Nein, der Rahmen ist in Ordnung. Das Einzige, das mir auffiel, war ein verblasstes schwarzes Gekritzel, das quer über die Rückseite verläuft. Es ist alt genug, um eine Notiz des Mannes zu sein, der dem Maler die Holzplatte verkaufte.“
„Das reicht nicht für einen Mord.“
„Wohl kaum.“ Als müsste sie sich vor noch mehr unheilvollen Neuigkeiten schützen, kreuzte sie die Arme vor der Brust. „Wenn mein Engel sich nun als ein Todesengel entpuppt, der Schwierigkeiten anzieht, was soll ich dann mit ihm machen?“
„Das Klügste wäre, ihn zu verkaufen“, antwortete John. Auf dem Ritt von Calais hierher hatte er lange und ausgiebig darüber nachgedacht. Und wenn er ehrlich war, so war verkaufen wirklich die einzige Lösung. „In Paris. Und geben Sie es überall bekannt, damit derjenige, der ihn so verzweifelt in die Hände zu bekommen versucht, es erfahren muss. Eigentlich haben Sie um Ihres Friedens und Ihrer Sicherheit willen gar keine andere Wahl.“
Wieder blickte sie auf das Gemälde. Sie überlegte nur einen Augenblick lang. „Und was, wenn ich das Bild nicht verkaufen will? Was, wenn ich mich weigere, dem klügsten Ratschlag zu folgen?“
„Dann sind Sie entweder sehr dumm“, sagte er leise, „oder sehr mutig.“
Die langen Weidenzweige bewegten sich leicht, und ihre schmalen Blätter wiegten sich wie Federn im Wind. John trat einen Schritt näher und bog einen Zweig beiseite, der zwischen sie geweht worden war. Mary wich nicht zurück. Sie rührte sich nicht, aber er sah, wie ihre Finger ihren Arm fester umklammerten.
„Sie haben einmal versucht, dieses Bild für sich selbst zu erwerben, Mylord, und sind gescheitert“, erwiderte sie. „Woher weiß ich, dass Ihr Ratschlag ehrlich gemeint ist?“
„Weil ich es mir jetzt nur zu nehmen bräuchte, wenn ich es wollte“, sagte er und streckte die Hände nach dem Bild aus, ohne jedoch den Rahmen zu berühren. „Sie könnten mich nicht daran hindern, noch würden Sie erfahren, wo ich zu finden wäre.“
Sie musterte ihn misstrauisch. „Das würden Sie nicht tun, Mylord.“
„Nein?“ Er machte eine Bewegung, als wollte er nach dem Bild greifen, und sah sie an. „Wie können Sie das wissen?“
„Weil ich Ihnen vertraue, Mylord“, antwortete sie ohne Zögern.
Das hatte er nicht erwartet. „Wie?“, fragte er amüsiert. „Die meisten Damen in Ihrer Situation würden das nicht. Und ich habe Ihnen keinen Grund gegeben, mir zu vertrauen.“
„Doch, haben Sie“, antwortete sie gelassen. „Sie erkannten den Wert des Bildes in dem Augenblick, als Sie es sahen – nicht nur seinen Wert, sondern auch seine Kraft. Das haben Sie nicht vorgetäuscht. Und das heißt, dass ich entweder sehr dumm oder sehr mutig bin, wenn ich Ihnen vertraue, Mylord.“
Er lachte leise und zog die Hände vom Bild zurück. „Sagen Sie mir, was auf Sie zutrifft.“
Sie schüttelte den Kopf und lächelte mit so großem Selbstvertrauen, dass er beinahe laut gelacht hätte.
„Es tut mir leid,
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