Lady meines Herzens
und dem sie sich so verbunden gefühlt hatte, vergeben und unerreichbar war. Hatte niemals vermutet, der lustige und scheinbar so entspannte Mr Brandon könnte einer der reichsten und mächtigsten Männer Englands sein. Hatte nie damit gerechnet, über jedes noch so kleine Detail seiner Hochzeit mit einer anderen Frau berichten zu müssen.
»Ich entschuldige mich für meine Verspätung«, sagte er, nachdem ein Lakai die Tür hinter ihm geschlossen hatte. »Mutter, Lady Richmond, Lady Clarissa«, sagte er grüßend. Als sich sein Blick auf sie heftete, glaubte sie, Erkennen und Überraschung darin aufflackern zu sehen, seine Miene hingegen blieb undurchdringlich.
Doch sie hörte, wie er scharf die Luft einsog.
»Du wirkst etwas außer Atem, Brandon. Bist du etwa gerannt, um möglichst schnell bei uns zu sein?«, fragte Lady Hamilton.
»Nein.«
Sophie kannte den Grund: Das Entsetzen raubte ihm den Atem. Ihr erging es kaum anders.
»Ich möchte dir Miss Sophie Harlow von der London Weekly vorstellen«, sagte Lady Hamilton.
Genau, Miss Harlow von diesem skandalösen Revolverblatt, dachte Sophie, aber sie traute sich nicht, es auszusprechen.
»Miss Harlow«, begrüßte er sie und nickte ihr leicht zu. Er erinnerte sich an sie, das sah ein Blinder. Aber das würde er wohl kaum zugeben. Sie wusste, warum er das nicht tat, und trotzdem: Dieses Wissen konnte den Schmerz nicht mildern.
»Euer Gnaden«, sagte Sophie und sank in einen tiefen Knicks. Er war jetzt nicht länger Mr Brandon für sie. Der Mann, der vor ihr stand, war ein Fremder, und sie musste sich entsprechend verhalten. »Es ist mir eine Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Wenigstens wusste sie jetzt, warum er nicht bei ihr vorgesprochen hatte. Weil, ach ja, weil er verlobt und damit beschäftigt war, eine andere zu heiraten!
Sophie erlaubte sich einen leisen Seufzer. Sie ergab sich in ihr Schicksal. Dies würde ein langes, schreckliches Interview werden, das ihr vermutlich das Herz brach. Sobald es vorbei war, konnte sie heimgehen und weinen, aber bis dahin musste sie sich auf ihre Aufgabe konzentrieren.
»Wollen wir anfangen?«, schlug Lady Hamilton vor.
Nein, dachte Sophie. Sie wollte keine Fragen stellen, und sie wollte nicht jedes Detail von der ersten Begegnung bis zur Hochzeit zwischen Lord Brandon und Lady Clarissa protokollieren. Ein Graus. Eine Qual. Nach diesem Gespräch musste sie Mr Knightly unbedingt mitteilen, dass sie diese Story nicht machen konnte. Aber zunächst …
»Ja, fangen wir an«, sagte Sophie so fröhlich, wie es ihr unter diesen Umständen möglich war. Sie hatte nämlich einen Job, den sie erledigen musste. Ungeschickt zog sie aus ihrem Retikül einen kleinen Schreibblock und einen Bleistift, mit dem sie sich immer Notizen machte. Sie war eine Spur zu nervös, denn es war eines ihrer ersten offiziellen Interviews. Außerdem handelte es sich bei den Gesprächspartnern um höchst illustre Persönlichkeiten. Gewöhnlich stützten sich ihre Kolumnen allein auf die Beobachtungen, die sie bei den Hochzeitsfeierlichkeiten machte, oder auf die Berichte, die ihr von den Hochzeitspaaren übersandt wurden. Dass dieses Interview auch noch ausgerechnet die Hochzeit ihres Traummanns mit einer anderen Frau zum Thema hatte, konnte weder ihren Verstand noch ihr Herz beruhigen.
»Wir von der London Weekly wissen diese großartige Möglichkeit, die Sie uns bieten, wirklich überaus zu schätzen. Ich möchte heute mit einigen Fragen zum Brautpaar beginnen«, sagte Sophie.
Lady Clarissa faltete die Hände im Schoß. Lady Richmond spitzte die Lippen, während Lady Hamilton geduldig lächelte. Lord Brandon machte auf Sophie den Eindruck, als wünschte er, sonst wo zu sein. Obwohl Sophie seinen Wunsch durchaus nachvollziehen konnte, brachte sie kein Mitgefühl für ihn auf.
»Lady Clarissa, wenn ich mit Ihnen beginnen dürfte«, bat Sophie. »Unsere Leser würden gerne erfahren, wie Sie auf die Idee kamen, die Geschichte Ihrer Hochzeit der Öffentlichkeit zu erzählen.«
Clarissa öffnete den Mund und wollte antworten, doch ihre Mutter kam ihr zuvor.
»Wie Sie sich vorstellen können, hat uns jeder über jedes noch so kleine Detail der Hochzeit ausgefragt, sobald die Verlobung offiziell verkündet wurde. Man fragt uns nach dem Stoff, aus dem das Kleid meiner lieben Clarissa geschneidert wird, den Blumen, dem Menü des Hochzeitsmahls und so weiter und so fort. Meine liebe, liebe Freundin Lady Carrington schlug daher vor, wir könnten die
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