Lady meines Herzens
schuldiger.
»Ach, nichts«, sagte sie und streifte rasch die Handschuhe über. Wenn ihre Mutter sie dabei erwischte, bekäme sie bestimmt einen Anfall und nähme ihr dann Tinte, Feder und Papier weg.
»Aber sicher haben Sie doch etwas geschrieben«, bemerkte er freundlich.
»Bloß ein paar Briefe. Nichts von Interesse«, log Clarissa. Sie wurde rot.
Es war so interessant und faszinierend, mit Frederick innige Briefe zu wechseln! Sie erfuhr so viel über ihn und teilte ihre intimsten Geheimnisse mit ihm. So schmiedeten sie ein Band, wie sie es nie zuvor erlebt hatte. Die Briefe waren einfach herrlich, doch sie konnten die Nähe des Verfassers nicht ersetzen.
Das behielt sie natürlich für sich. Sie hatte Lord Brandon schon zu viel erzählt. Wahrscheinlich war dies das längste und ernsthafteste Gespräch, das sie mit ihm geführt hatte, seit sie ihm vorgestellt worden war. Zum Teil lag es sicher daran, dass Frederick sie ständig ermutigte, ihre Gedanken zu äußern. Und in letzter Zeit hatte sie oft an Tante Eleanor gedacht.
Heimlich stellte Clarissa sich nachts vor, wenn sie voller Sehnsucht wach lag, wie sie mit ihrem eigenen verwegenen Lebemann durchbrannte, wie es einst Eleanor getan hatte.
Das würde sie natürlich niemals tun. Es war Wahnsinn, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden.
Deshalb hatte sie Lord Brandon erklären müssen, warum sie ihn immer noch heiraten wollte, obwohl ihre Herzen inzwischen für andere schlugen.
Weil es ihre Mutter glücklicher machte als sie selbst unglücklich.
Weil leidenschaftliche Liebe, die Art Liebe, wie sie nun zwischen Frederick und ihr oder Brandon und Sophie entflammt war, nie lange hielt. Diese Liebe würde irgendwann vergehen, und dann wären sie alle ruiniert.
Aber Brandon und sie konnten im Laufe der Zeit eine innige Zuneigung füreinander entwickeln.
Und dann war da auch noch ihr schrecklich teures Kleid, an dem ein halbes Dutzend Näherinnen vierzig Stunden lang gearbeitet hatten. Zweihundert handgeschriebene Einladungen, Hunderte Treibhausblumen und Bienenwachskerzen, ein riesiger Vanillekuchen mit Zitronenguss, eine Sondergenehmigung des Erzbischofs von Canterbury und eine regelmäßig erscheinende Zeitungskolumne, die über all das berichtete.
Außerdem war der Ehevertrag unterschrieben, und die Gläubiger lauerten schon auf die Hochzeit. Das Schicksal so vieler Menschen ruhte auf ihren schmalen Schultern. Sie musste nur das tun, was man von ihr verlangte.
Das Licht wurde wieder gedämpft, und Clarissa war dankbar, weil der zweite Akt sie von ihrem eigenen Drama ablenkte. Trotzdem warf sie Frederick immer wieder Blicke zu und fragte sich, was wäre, wenn …
Kapitel 29
Noch sechs Tage bis zur Hochzeit …
Bloomsbury Place 24
Ihre Begegnung im Theater war so erregend, emotionsgeladen und beunruhigend gewesen, doch seitdem hatte Sophie nichts mehr von ihm gehört.
Wie versprochen hatte Lady Richmond ihr eine Kopie der Menüfolge vom Hochzeitsessen schicken lassen. Sophie trauerte dem Nachmittag in Gesellschaft der Duchess nicht nach, doch insgeheim bedauerte sie, dass ihr damit auch eine Gelegenheit entgangen war, Brandon zu sehen. Obwohl es sicher besser war, wenn sie ihn nicht sah.
Obwohl die Menükarte Dutzende zweifellos köstlicher Speisen aufführte, konnte keine davon Sophies Appetit wecken. Sie legte den Bogen Papier zu ihren anderen Notizen. Da stand: Schickes Kleid! Silberne Spitze. Lady Sophie Brandon. Und: Wie kann er nur!
Sie hatte es bisher noch nicht geschafft, aus ihren Notizen eine Kolumne entstehen zu lassen, die nicht ihre Entlassung zur Folge hatte. Die Bedrohung lauerte wie eine dunkle Gewitterwolke über ihrem Leben.
Sophie hatte keinen Hunger. Sie nippte nur an ihrem Tee, während die anderen Schreibenden Fräulein die frisch gebackenen Ingwerkekse vertilgten und angeregt über die letzte Folge des Fortsetzungsromans Darcy Darlingtons Abenteuer diskutierten,die neuesten Kleiderstoffe von Madame Journelle besprachen und über Lord Roxburys neueste Affäre spekulierten.
»Wenn wir schon über skandalöse Lords sprechen …«, setzte Julianna mit einem hinterhältigen Grinsen an.
»Du und Lord Brandon habt es schon wieder in die Zeitung geschafft!«, rief Annabelle fröhlich. Sophies Stimmung sank. Lady Richmond würde das bestimmt mitbekommen und Clarissa ebenfalls. Unruhig rutschte Sophie auf ihrem Stuhl herum. Sie fühlte sich schrecklich schuldig. Als sie mit Brandon zusammen gewesen war, hatte es sich so
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