Lady Punk - Roman
sich an die Bar, sagte »hey« und versuchte, so normal wie möglich zu klingen. Marcel sagte »hey« und küsste sie auf beide Backen.
Terry musste warten, bis die Gäste das Haus verlassen würden, bevor sie Marcel ihr Geschenk geben konnte. Sie war gespannt auf sein Gesicht. Noch nie in ihrem Leben hatte sie jemanden beschenkt. Die Eis- und Cola-Spendiererei war eine ganz andere Sache.
Die Leute verließen nacheinander die Bar. Auch die an den weißen Tischen draußen unter der hellen Markise, die Hähnchen und frittierte Kartoffeln gegessen hatten, standen auf.
Marcel kassierte von den letzten Gästen.
Am großen Tisch in der Bar war ein Mädchen sitzen geblieben, das Terry gar nicht beachtet hatte. Jetzt wunderte sie sich, warum es nicht die Bar verließ. Aber sie wurde gleich aufgeklärt. Marcel ging zu dem Mädchen, hob sein Gesicht mit unter das Kinn gelegtem Zeigefinger hoch und küsste es auf die Nasenspitze. »Komm, chérie«, sagte Marcel. »Wir sind fertig.« Dann zog er das Mädchen hoch. Zu Terry sagte er: »Kleines, das ist Jeanette.«
Terry rutschte vom Hocker. Sie wunderte sich, dass sie überhaupt auf dem Fußboden landete und nicht hindurchfiel, in ein großes Loch, direkt in die Hölle hinein oder noch weiter. Aber als sie stand, spürte sie gleich, die Hölle war da, sie befand sich mittendrin. Ihr war alles klar. Der Unterschied lag in zwei Worten: Chérie und Kleines . Und bevor Marcel alles über sie wusste, war Terry Chérie, und dann hatte sich das geändert, es waren wirklich brüderliche Gefühle für sie geworden, nein, es war gar nichts geworden, und Terry fühlte sich so elend wie nie zuvor.
So schnell ging das, natürlich, auch mit ihr war das schnell gegangen, nur der Unterschied lag darin, was ganz offensichtlich war: Jeanette war siebzehndreiviertel, mindestens. Und sie war eines dieser Wesen, die Terry nie sein würde: schmal und langbeinig, dunkelhaarig und sicher nie mit diesem Heißhunger auf Hamburger mit Extraketchup. Jeanette war perfekt, mit Händen, die wohl nur streicheln konnten.
Terry fiel dieser blöde Spruch vom Schwarzen ein, »von Tuten und Blasen keine Ahnung, aber streicheln sollten sie können«, und so blöd war der Spruch wohl nicht, sondern beschrieb die Realität. Es kam nicht darauf an, dass man die beste Volleyballspielerin der Schule war und mit den Händen baggern und pritschen konnte wie sonst keiner. Es kam darauf an, was Terry auch längst gewusst hatte, dass man nämlich wie achtzehn aussah und es möglichst auch war, denn mit achtzehn fing das Leben an.
Marcel legte den Arm um Jeanette. »Wir gehen zum Hafen«, sagte Marcel. »Willst du mit, Kleines?«
Nein danke, schrie es in Terry, nein danke! Sie rannte hinaus und in Richtung Strand. Dort lief sie so lange, bis sie einen freien Platz gefunden hatte. Sie hatte große Lust, sich einzubuddeln, aber das Gefühl ließ nach. Sie bereute es, dieser Jeanette nicht die feinen, langen Haare in Büscheln herausgerissen zu haben, aber auch dieser Wunsch verblasste langsam, bis nichts mehr in ihr übrig blieb.
Als die Surfer-Clique ihre Segel an ihr vorüberschleppten, rief der Blonde »hey«. Sie antwortete gar nicht, irgendwie war ihr nicht klar, dass überhaupt jemand sie meinen konnte.
Der Dunkle kam zu ihr, und ihr wurde schwach bewusst, dass der ja mal so irgendwas wie ihr Traum gewesen war. Aber als er »hallo« sagte, antwortete sie ganz ohne Gefühl. Ihr kam das alles so bekannt vor, wie eine Platte, die zum wiederholten Male lief und die sie in- und auswendig kannte. »Hallo«, sagte sie.
»Wo ist denn der Typ, mit dem du rumgemacht hast?«, fragte er.
»Ich habe gerade Schluss gemacht«, sagte Terry.
»Oh«, sagte der Dunkle. »Vielleicht renkt sich noch alles ein.«
Es war ein Spiel. Terry kapierte das jetzt. Man musste so tun, als ob es ernst war, aber es war ein Superspiel. Frage und Antwort. Die Platte lief.
»O nein«, sagte Terry. »Ich bin ganz glücklich so.«
Sie meinte kein einziges Wort davon im Ernst.
Es war tagelang eine unmögliche Situation.
Terry zog es vor, oben am Haus zu bleiben. Sie fühlte sich verraten und schlüpfte in ihre alte Rolle, die des schmollenden, trotzigen Kindes, und sie fühlte sich ganz wohl dabei.
Die Mutter war schwer beleidigt worden und kam aus ihrer Ecke gar nicht heraus.
Terry sah sie leiden, und je mehr die Mutter litt, desto besser ging es Terry.
Lieschen versuchte noch nicht einmal, ausgleichend zu sein. Sie lief schweigend umher.
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