Ladylike
aber etwas verunsichert. Anneliese sah bisher viel mütterlicher oder besser gesagt großmütterlicher aus. Wenn sie weiterhin so konsequent abnimmt wie in den letzten drei Tagen, wird sie mir in einem halben Jahr Konkurrenz machen.
Als hätte sie meine Gedanken erraten, fragt sie mich: »Erinnerst du dich noch an unsere Hula-Hoop-Reifen? Damals hatten wir Taillen wie Scarlet O’Hara. Aber vielleicht kriege ich meinen Speck doch noch ein wenig unter Kontrolle!«
»Warum willst du dich so quälen?« frage ich, aber sie lacht nur.
Als ich ihr Kaffee einschenke, schiebt sie Zucker, Sahne und die Löffelbiskuits weit von sich. Offensichtlich hat sie sich auch eine Maniküre geleistet, denn sie schaut wohlgefällig auf ihre Hände mit den nußbraunen Altersflecken.
Es wird ihr weh tun, wenn ich von Yola erzähle. Ich informiere sie behutsam.
Anfangs verstellt sich meine Freundin und behauptet kühl, sie habe schon lange vermutet, daß sich Ewald abends mit einer Frau treffe, schließlich könne sie zwei und zwei zusammenzählen. Im übrigen sei es ihr völlig egal, mit welcher Ziege dieser Bock ins Heu springe. Dann fängt sie an zu weinen und will nicht wieder aufhören. Am Ende flennen wir beide, und es tut so gut, daß wir schließlich lachen müssen. Trotzdem können wir nicht aufrichtig darüber sprechen, daß wir beide dem gleichen Mann gefallen möchten und ihn auf keinen Fall einer Jüngeren gönnen.
»Bernadette versichert, daß es eine reine Seelenverwandtschaft sei, die sie mit dem Organisten verbinde, und das sollte man ihr schon glauben«, sage ich. »Selbst eine trübe Tasse wie dieser Kantor wird sich wohl kaum an einem Skelett vergreifen! Bernadette verlangt die Scheidung also nicht wegen eigener Hochzeitspläne, sondern weil Ewald sie so gemein betrogen hat.«
Anneliese stellt sich vor, wie Bernadette ihren Mann mit Yola erwischt hat, und empfindet Mitleid. »Es war bestimmt sehr demütigend«, meint sie, »weil wohl das gesamte Krankenhauspersonal Bescheid wußte. Jetzt bereue ich fast, daß ich …«
Was hat Anneliese bloß angezettelt? Sie sagt es mir immer noch nicht. Auf alle meine Fragen bekomme ich nur zu hören, daß Bernadette so oder so nicht mehr lange zu leben habe. Schließlich greift sie zu altbekannten Ablenkungsmanövern, die stets mit weißt du noch beginnen.
»Weißt du noch, wie wir eines Morgens im gleichen grauen Rock in die Schule kamen? Unsere Mütter hatten ihn unabhängig voneinander bei Neckermann bestellt!«
»Weißt du noch, wie wir zum ersten Mal von der Pille gehört haben? Es muß etwa 1963 gewesen sein …«
»Weißt du noch, daß wir gerade miteinander telefonierten, als Kennedy erschossen wurde?«
Ich nicke immer nur. Aber dann kommt mein Konter: »Weißt du noch, wie oft du mit Ewald geschlafen hast?«
Anneliese erschrickt und beteuert bei allem, was ihr heilig ist, daß sie niemals im Leben – weder früher noch kürzlich – mit Ewald intim geworden sei. Sie bekreuzigt sich. »Ehrenwort!«
»Soll ich auch noch die Bibel holen?« frage ich giftig, denn ich traue ihr nach so vielen Schwüren erst recht nicht über den Weg.
»Früher war ich zu verklemmt, und heutzutage wäre es mir viel zu peinlich, mich zu entblößen«, erklärt Anneliese. »Aber auch wenn es so wäre? Was geht es dich überhaupt an?«
»Anneliese«, sage ich, um wieder auf das aktuelle Thema zurückzukommen, »mit Bernadette ist es noch nicht getan, wir müssen jetzt auch Yola im Auge behalten!«
Meine Freundin grübelt und bedauert, daß Ewald momentan gar nicht zu erreichen ist. Offensichtlich hält er sich nicht oder nicht mehr in seinem Haus auf. Er nimmt weder das dortige Telefon noch sein Handy ab.
Ich blättere im Telefonbuch, rufe die Klinik an, verlange die Oberärztin und erfahre, daß Frau Dr. Schäfer im Urlaub sei. Da ich das Telefonbuch noch auf dem Schoß halte, suche ich als letzte aller Heidelberger Schäfer die Nummer von Dr. Y. Schäfer heraus. Dort meldet sich ein Anrufbeantworter.
»Die beiden machen gemeinsame Ferien«, nehme ich an.
Wir schweigen eine Weile, bis Anneliese zu meiner Verblüffung vorschlägt, vor dem Abendessen noch einen Spaziergang zu machen. Bisher hatte sie sich selten dazu aufraffen können, aber anscheinend will sie ein paar Kalorien verbrennen.
Ich bin natürlich einverstanden, und wir beeilen uns, unsere bequemen und ziemlich häßlichen Schuhe anzuziehen. Jahrelang habe ich über die beigen Rentnersneakers mit Klettverschluß
Weitere Kostenlose Bücher