Ladylike
Bewußtlosen wenigstens einen wärmenden Sweater überzustreifen.
Als wir seinen Kopf mühsam in den Ausschnitt einfädeln, schlägt Ewald die Augen auf, blinzelt zu Annelieses üppigem Busen empor und fragt sichtlich verwirrt: »Spatzel, hast du zugenommen?«
Tiefer konnte er Anneliese nicht kränken, denn er hat sie offensichtlich mit Bernadette verwechselt. Trotzdem bin ich gemein genug, in nervöses Gelächter auszubrechen.
Nach einer Schrecksekunde schließt Ewald wieder die Augen, atmet aber hörbar und bewegt sich ein bißchen. Als ihm klar wird, daß er nur mit dem Kopf in einem Pullover steckt, langt er hastig nach dem nächstbesten Kleidungsstück und bedeckt wenigstens seine Blöße. Dann schielt er fast neugierig zu Anneliese hinüber und bemerkt leise, aber so galant wie eh und je: »In jeder Frau steckt doch eine Venus!«
»Einen schönen Schreck hast du uns eingejagt«, sage ich zu Ewald und beschließe, ihn ein wenig anzulügen. »Wir haben fast eine halbe Stunde lang Mund-zu-Mund-Beatmung und Herzmassage gemacht. Wenn Anneliese sich nicht so ins Zeug gelegt hätte, wärest du uns unter den Händen weggestorben.«
»Und das wäre nicht besonders schade gewesen«, knurrt sie zornig und stampft Ewalds Sonnenbrille in den Sandboden, wobei aber nur ein Bügel abknickt.
Ewald bleibt noch zehn Minuten ruhig liegen, dann zieht er sich an und erklärt sich dazu bereit, langsam mit uns in die Richtung des nächsten orangegestrichenen Stelzenhäuschens zu gehen, wo ein Rettungsschwimmer per Funk für Ewalds Abtransport sorgt.
Inzwischen ist es halb zwölf, und Scharen von Urlaubern mit riesigen Taschen, Bambusmatten, Schirmen, Bällen und Spaten kommen Anneliese und mir entgegen. Die Strandkörbe werden Zug um Zug alle besetzt. Zum Glück sind keine Schulferien, nur Kleinkinder sind mit ihren Eltern unterwegs, die ihre armen Würmer hoffentlich nicht in dieses Eiswasser jagen.
»Wenn wir im Hotel sind, essen wir ein heißes Süppchen, und dann ab ins Bett. Heute ist mir nicht nach Liegestuhl«, meint Anneliese.
»Wir müssen uns zuerst nach Ewald erkundigen«, sage ich, »die Sanitäter wollten ihn vorsichtshalber zum Arzt bringen. Weißt du zufällig, ob er schon häufiger kollabiert ist?«
»Ist mir doch egal«, sagt Anneliese.
An der Rezeption bekommen wir die Auskunft, daß Ewald längst in seinem Zimmer liege, einen Grog getrunken habe und keinen kranken Eindruck mehr mache. Unter diesen Umständen lassen wir ihn in Ruhe und legen uns ebenfalls aufs Ohr.
Erst um halb vier sitzen wir bei einer Tasse Kaffee im Garten und überlegen, ob wir jetzt nach Ewald sehen sollten. In diesem Moment tritt der Patient höchstpersönlich und in bester Laune an unseren Tisch.
»Gerade bin ich ein Stückchen die Straße hinuntergegangen und habe euch ein kleines Dankeschön für die Herzmassage mitgebracht!« Dabei legt er ein Tütchen mit kunstvoll eingepackten Gegenständen vor uns hin.
»Für meine Lebensretterinnen! Eines für Lore, eines für Anneliese!« sagt er siegesgewiß. Wir greifen zu, wickeln aus und achten gleichzeitig darauf, was die andere bekommen hat. Ewald hat für jede von uns ein Herz ausgesucht, eines aus Rosenquarz, das andere aus Amethyst. Ein weiteres Päckchen liegt noch unangetastet vor uns.
Anneliese geht unserem Gönner sofort auf den Leim.
»Nein, wie symbolisch! Und ganz entzückend!« sagt sie begeistert, »und für wen ist das dritte?«
»Ach so, das ist für meine Tochter«, sagt Ewald und steckt das überzählige Herz wieder ein.
»Für welche?« frage ich.
»Für Yola natürlich«, antwortet Ewald und fängt an zu überlegen. »Vielleicht sollte ich für Michaela ebenfalls ein Herz kaufen … Irgendwie habe ich gar nicht daran gedacht! Und dann müßte es am Ende noch eines für meine Schwiegertochter sein!«
»Laß dir doch gleich Mengenrabatt geben«, sage ich spöttisch.
Anneliese streicht über die glattpolierte Oberfläche und scheint echte Freude zu empfinden. »Vielen Dank, Ewald«, sagt sie, »es tut immer wieder gut, wenn Männer ein Herz verschenken.«
»Selbst wenn es aus Stein ist?« frage ich. Leider kann ich mich über das kleine Mitbringsel nicht richtig freuen. Warum kam Ewald nicht auf die Idee, uns unterschiedliche Präsente zu machen? Abrupt stehe ich auf und verlasse die beiden.
Wahrscheinlich gehe ich denselben Weg, den unser Herzspender genommen hat, denn ich komme schon bald an jenem Geschäft vorbei, aus dem seine Liebesgaben stammen:
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