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Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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frostig, aber zum Wandern ideal. Noch ist es einsam, kaum ein Urlauber kriecht so früh aus den Federn wie wir drei Rentner. Bereits nach zehn Minuten ziehen wir die Schuhe aus. Anneliese sorgt dafür, daß unser Tempo nicht forsch ausfällt, bückt sich ab und an nach einem glänzenden Steinchen oder einer rosa Muschel oder entdeckt einen unbekannten Vogel. Nach einer Stunde ist sie reif für eine Rast. Ewald breitet seine Lederjacke als Unterlage aus, und wir sitzen etwas zu eng beieinander. Ich vergrabe meinen unschönen Hammerzeh unauffällig im Sand. War es anfangs noch sehr frisch, so wird es uns jetzt im windgeschützten Strandhafer fast zu warm, denn die Sonne strahlt inzwischen mit aller Kraft. Es duftet nach Salz und Heidekraut.
    »Wer konnte auch ahnen, daß sich das Wetter hier so schnell ändert! Schade, daß wir keine Badesachen mitgenommen haben«, sagt Ewald und betrachtet neiderfüllt, wie sich in der Ferne ein paar Mutige juchzend in die Wellen werfen. Längst haben wir Jacken und Pullover abgelegt und die Hosenbeine bis zu den Knien aufgekrempelt, wobei Annelieses Krampfadern zum Vorschein kommen. Ewald hat nur die obersten drei Hemdknöpfe geöffnet, weil er seinen Bauchansatz nicht offenlegen will. Seine Zehnägel sind gelb, aber das ist ihm anscheinend nicht bewußt. Zum Glück haben wir unsere Sonnenbrillen dabei, denn das glitzernde Meer vor unserer Nase blendet und übt einen unheimlichen Sog aus.
    Anneliese ist es, die ganz plötzlich vom Teufel geritten wird.
    »Ich pfeife auf den Badeanzug, ich muß jetzt ins Wasser! Schließlich ist das hier ein Nacktbadestrand!« sagt sie aufmüpfig, pellt sich zielstrebig aus ihrer Hose, knöpft die Bluse auf und brüllt uns an: »Feiglinge!«
    Das läßt Ewald nicht auf sich sitzen, und er beginnt leicht verlegen, sich hinter unserem Rücken zu entkleiden. Als letzte werfe auch ich in rasender Eile Stück für Stück meiner Wäsche ab. Irgendein Wahnsinn treibt uns dazu, alle Scham über Bord gehen zu lassen. Wir sehen uns gegenseitig nicht an, schmeißen die Kleider auf einen Haufen, nehmen uns an den Händen – Ewald in der Mitte – und laufen so schnell wir eben können zum Wasser hinunter. Es ist eiskalt, mir bleibt fast die Luft weg, und dabei sind wir erst bis zu den Knien eingetaucht.
    »Augen zu und durch! Nach ein paar Sekunden wird es besser!« schnaubt Ewald und reißt uns weiter, bis uns eine große Welle mit Haut und Haaren erwischt. Wir kreischen in den höchsten Tönen, hüpfen kindisch in der Brandung herum und reden uns ein, daß wir Vergnügen dabei empfinden. In Wahrheit ist es einfach gräßlich und über alle Maßen peinlich. Gleich wird es noch unangenehmer werden, wenn wir mit unseren unterkühlten und verschrumpelten Körpern wieder an Land müssen. Bevor wir jämmerlich zu Grunde gehen, sollten wir raus aus dem Polarmeer.
    Jetzt erst werfe ich einen scheuen Blick auf meine Leidensgenossen. Bei Anneliese fällt am meisten auf, wie sonnengebräunt Gesicht, Hals und Hände, und wie schweinchenrosa ihr barocker Körper ist. Ewald hat zwar einen bronzefarbenen Brustkorb aus Italien mitgebracht, aber vom Nabel abwärts ist er grauweiß und fleckig wie eine schmutzige Serviette. Ich dagegen bin blau vor Kälte. Bibbernd und schnatternd hasten wir zu unseren Klamotten, wo uns noch nicht einmal ein Handtuch erwartet. Jeder wendet den anderen seinen Hintern zu, um sich mit Hemd oder Taschentuch notdürftig abzutupfen; Anneliese kichert hysterisch vor sich hin. Noch tropfen und klappern wir um die Wette, als Ewald wie ein gefällter Baum zu Boden sinkt.
    Anneliese ist sofort an seiner Seite. »Lore, hast du dein Handy dabei!« schreit sie mich an, als ob sie nicht selbst eines im Hotel liegen hätte.
    Nackend wie wir sind, knien wir neben Ewald nieder und fühlen rechts und links erfolglos seinen Puls.
    »Herzinfarkt?« frage ich die erfahrene Anneliese.
    »Kreislaufkollaps«, vermutet sie, »am besten würde man ihm jetzt ein heißes Getränk einflößen …«
    Bevor jemand kommt, ziehen wir uns blitzschnell BH und Slip wieder an. Dann betrachten wir aufmerksam, was da naß, nackt und fahl vor uns ausgebreitet liegt. Ewalds goldbraune Gesichtsfarbe ist einer leichenhaften Blässe gewichen. Durch den Kälteschock hat sich sein empfindlichstes Teil fast ganz in ein imaginäres Mauseloch verkrochen. Seine Unterschenkel scheinen im Gegensatz zum kräftigen Rumpf zwei dünne, mit Sand panierte Stecken zu sein. Gemeinsam versuchen wir, dem

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