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Laennaeus, Olle

Laennaeus, Olle

Titel: Laennaeus, Olle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das fremde Kind
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Adoptiveltern?», fragt Konrad. «Möglicherweise
...»
    Sie warten ungeduldig, während er sich
in Ruhe zurechtsetzt, den Oberkörper nach vorn gebeugt, die Ellenbogen auf den
Tisch gestützt und die Hände unter dem Kinn gefaltet. Lehe wirkt mit einem Mal
konzentriert. Als wolle er sichergehen, auch jede einzelne Nuance weiterzugeben.
    «Bengt Olsson. Sagt euch der Name etwas?»
    Er schaut sie auffordernd an.
    «Im Ort haben sie ihn Benga genannt.
Er hing damals immer mit deinem Bruder Klas herum.»
    «Aha, du meinst...»
    Das Bild, das in Konrads Kopf auftaucht,
ist vage und verschwommen. Ein grinsender Jüngling mit strähnigem Haar, der sich
immer irgendwo im Hintergrund aufhält. Ist er groß oder klein, kräftig oder eher
schlank? Konrad erinnert sich nicht mehr. Aber er hat etwas Nervöses an sich. Eine
Person, die Unbehagen verbreitet.
    «Er hat sich vor einem halben Jahr
hier im Knast erhängt. Hat 'n Stromkabel mit in die Zelle geschmuggelt. Hat es am
Bücherregal befestigt und geschafft, sich damit das Genick zu brechen. Es war so
traurig, denn ich bin ziemlich sicher, dass er auf dem besten Weg war ... tja, nach
Hause zu finden.»
    «Zu Gott?», fragt Gertrud tonlos.
    Lehe nickt.
    «Wie dem auch sei, ich hab mich in
den Monaten, bevor es passiert ist, oft mit ihm unterhalten. Er war ziemlich fertig.
Hatte viele Jahre lang gefixt und höllische Qualen erlitten, wenn er hier drinnen
keinen Stoff bekommen hat.»
    «Und was hat er gesagt?»
    Gertrud kann ihre Ungeduld nicht länger
verbergen. Ihr Bruder wirft ihr einen irritierten Blick zu, bevor er weiterredet.
    «Als Olsson mir damals davon erzählt
hat, hab ich mich nicht weiter drum gekümmert. Ich hab gedacht, dass es sich eher
um dummes Geschwätz handelte. Phantasien seines kranken Hirns. Aber dann habe ich
vor ein paar Wochen von dem Mord an Herman und Signe gelesen. Es stand ja in allen
Zeitungen, und ich war natürlich neugierig, weil es in Tomelilla passiert ist. In
Ystads Allehanda hab ich einen ziemlich ausführlichen Bericht über ihr Leben gefunden,
der von diesem Palander stammte. Und du wurdest dort auch kurz genannt, Konrad.
Im Artikel wurde nebenbei erwähnt, dass deine Mutter damals irgendwann spurlos verschwunden
ist. Und als ich das las, hat es bei mir sozusagen Klick gemacht. Ich musste sofort
daran denken, was Bengt Olsson mir erzählt hat.»
    In der Zelle wird es still. Lelle streckt
seinen Rücken und fährt sich erneut durchs Haar. Ein Ventilator rauscht leise. Konrad
hört Gertrud atmen.
    «Es war nicht viel», sagt Lelle. «Aber
ich könnte Gift drauf nehmen, dass er wortwörtlich gesagt hat: Ich weiß, wo
diese Polin ist. Ich muss jeden Tag an sie denken. Sie verfolgt mich.»
    Die Worte lassen Konrad schwindelig
werden. In seinem Kopf beginnt sich alles zu drehen, und sein Mund fühlt sich trocken
an. Er bringt kein Wort heraus.
    Gertrud starrt ihren Bruder an.
    «Nichts weiter?»
    Lelle schüttelt entschieden den Kopf.
    «Nein. Wir haben uns über alte Zeiten
in Tomelilla unterhalten. Und dann tauchten die Sätze plötzlich einfach so auf.
Und wenn ich so im Nachhinein darüber nachdenke, erinnere ich mich daran, dass
er ängstlich aussah. Gequält. Da hatte sich so viel in ihm aufgestaut, was er hätte
rauslassen müssen.»
    «Wusste er denn, ob sie noch lebt?»,
fragt Gertrud. «Ich meine, irgendwas musste er doch wohl...»
    Ganz langsam, als wolle er sie auf
die Folter spannen, schüttelt Lelle erneut den Kopf. Konrad atmet tief durch, um
die Übelkeit zu unterdrücken. Er spürt, wie die Kälte in der Magengrube langsam
von einer schleichenden Nervosität abgelöst wird. Kann das denn überhaupt stimmen?
Oder sitzt dieser scheinheilige Pseudoprediger nur da und führt sie an der Nase
herum? Erfindet eine Menge Lügen, um sich wichtigzutun? Konrad unterdrückt eine
plötzliche Lust, aufzuspringen und den lebenslänglich Verurteilten so lange zu würgen,
bis er das letzte Körnchen Wahrheit aus ihm herausgepresst hat.
    «Aber hast du ihm denn gar keine Fragen
gestellt?», fragt er beherrscht.
    Lehe betrachtet ihn ruhig.
    «Doch, aber er hat nichts weiter gesagt.
Er hat völlig dichtgemacht. Es kam nichts mehr. Und ein paar Tage später hat er
sich erhängt.»
     
    I m Auto ist
es heiß wie im Backofen, obwohl es bereits nach sechs Uhr abends ist. Konrad und
Gertrud sitzen dennoch einige Minuten still da und starren durch die Windschutzscheibe
hinaus. Es ist wie eine stillschweigende Übereinkunft. Wieder zu Atem kommen.

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