Laennaeus, Olle
kurz auf.
«Ich hab vergessen, Blumen mitzubringen.»
«Was meinst du damit, dass sie deine
geworden ist?», fragt Konrad.
Ohne zu antworten, ergreift sie Konrads
Hand.
«Komm. Auf dem St. Knuts väg gibt es
einen Blumenladen.»
Als sie den Kiesweg ein Stück entlanggegangen
sind, beginnt Gertrud zu erzählen. Sie ist wortkarg, als wäge sie ihre Formulierungen
genau ab, und ihre Stimme klingt eintönig.
«Lindas Mutter bin ich nie begegnet.
Sie hat getrunken und auch Tabletten genommen, hat Lelle behauptet. Ich glaub, dass
er sich nicht viel aus ihr gemacht hat. Aber als sie kurz nach der Entbindung abgehauen
ist, stand er allein mit einem Säugling da. Ein Krimineller und Drogenabhängiger.
Er hat getan, was er tun konnte, aber es funktionierte natürlich nicht. Es war
ein Wunder, dass Linda die ersten Jahre in diesem Drogensumpf überhaupt überlebt
hat. Als das Sozialamt Lelle Druck machte, hat er uns gebeten, uns eine Weile um
sie zu kümmern. Aber Joakim hat sich geweigert. Und ich hab nachgegeben. Also kam
sie ins Heim. Ich hab mich so furchtbar geschämt.»
Sie verstummt, als wüsste sie den Weg
nicht mehr.
«Lelle hatte dann wieder eine bessere
Phase und hat seine Tochter zurückbekommen», fährt sie fort. «Es funktionierte auch
eine Weile. Einmal war er mit ihr oben in Stockholm und hat uns besucht. Wir hatten
ein paar schöne Tage. Und dann ist das mit dem Libanesen am Möllevängstorg passiert.
Der Mord, du weißt ja. Lelle hat lebenslänglich bekommen, und dieses Mal hab ich
entschieden, dass Linda zu uns nach Hause ziehen soll, egal, was Joakim dachte.
Da war sie zehn.»
Gertrud geht jetzt etwas langsamer
und wirft Konrad einen raschen Blick zu, bevor sie weitererzählt.
«Eine Weile ging es gut», sagt sie.
«Ich hab wirklich versucht, sie wie meine eigene Tochter zu behandeln. Ich hatte
sie sehr gern. Sie war begabt und ist in der Schule gut mitgekommen, obwohl sie
als Kleinkind die Hölle durchgemacht hat. Aber dann ... es schien, als würde das
Unglück sie verfolgen, genau wie es ihren Vater verfolgt hat. Es war in derselben
Zeit, als es zwischen Joakim und mir anfing zu kriseln.»
Sie lacht auf, etwas bitter.
«In unserem Reihenhaus herrschte zeitweise
eine eisige Kälte. Vielleicht hat das auch eine Rolle gespielt, ich weiß es nicht.
Jedenfalls blieb Linda immer öfter weg. Und eines Tages kam sie einfach nicht mehr
heim.»
Als sie am Blumenladen ankommen, unterbricht
Gertrud ihre Erzählung. Sie wählt, ohne zu zögern, zwei große Sträuße Tulpen aus.
Rote und gelbe. Sie bezahlt, und sie verlassen den Laden wieder.
«Und was ist passiert?», fragt Konrad.
«Wir haben natürlich nach ihr gesucht.
Oder besser gesagt, ich hab gesucht. Bin in Nachtbussen und in der U-Bahn herumgefahren.
Hab veranlasst, dass die Polizei nach ihr fahndet. Bin nach Malmö runtergefahren
und hab das Sozialamt alarmiert. Aber sie tauchte nicht wieder auf.»
Plötzlich schaut Gertrud mit ihrem
intensiven, leicht schielenden Blick, gegen den er sich so schwer wehren kann, zu
ihm auf.
«Ich hab aufgegeben. Das werde ich
mir nie verzeihen. Ich hab aufgehört, nach ihr zu suchen. Hab dieses verdammte
Reihenhaus und alles hinter mir gelassen und versucht, das Ganze zu vergessen. Dachte,
dass ich ein neues Leben beginnen müsse. Aber ich weiß, dass ich sie im Stich gelassen
hab.»
Sie dreht sich rasch um und geht dann
weiter.
Am Grab wirft sie die vertrockneten
Blumen in eine Mülltonne. Füllt neues Wasser in die Vase.
«Die Polizei hat sie schließlich in
der Drogenszene in Möllevängen gefunden», sagt sie leise. «Meine kleine Linda war
tot. Sie war bis auf die Knochen abgemagert. Das war drei Jahre, nachdem sie uns
verlassen hat. Wenn ich nur weiter nach ihr gesucht hätte, hätte ich sie retten
können.»
Sie stehen lange gemeinsam da und betrachten
die Tulpen, die jetzt vor dem Granitstein und dem grünen Rasen rot und gelb leuchten.
«Du hast gefragt, warum ich nach Mittsommer
einfach so verschwunden bin», sagt Gertrud.
Sie sieht aus, als friere sie.
«Ja ...?»
«Ich weiß nicht genau ... Aber wenn
man einen Menschen verloren hat, wenn man jemanden, der einem viel bedeutet, immer
wieder verliert, zerreißt es einen innerlich. Man hat Angst und ist furchtbar verletzt.»
Konrad schweigt. Er will sie umarmen
und ihr erklären, dass sie sich nichts vorzuwerfen hat. Dass sie keine Angst haben
muss und dass auch er keine Angst mehr haben wird. Aber die Worte kommen ihm so
nichtssagend vor.
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