Laennaeus, Olle
gedacht, du wärst es. Aber du warst es nicht,
oder?»
«Nein. Vielleicht hast du geträumt?»
Gertrud blickt ihn zweifelnd an und schüttelt dann den Kopf.
«Ach, vielleicht hab ich mir alles
auch nur eingebildet. Aber es kam mir so wirklich vor. Und dann war das Gefühl plötzlich
weg. Und ich war irgendwie so unglaublich müde. Mir sind einfach die Augen zugefallen.»
«Du bist also eingeschlafen ...»
Sie streicht sich ein paar Haarsträhnen
aus der Stirn. Schaut sich um. In ihrem Blick liegt immer noch eine gewisse Unruhe.
«Ich hab auf dich gewartet.»
«Tatsächlich?»
«Wie spät ist es?»
Er kramt sein Handy hervor und sieht
nach.
«Viertel nach drei.»
«Dann müssen wir uns beeilen.»
Noch bevor er etwas fragen kann, ist
sie aufgesprungen und schon auf halbem Weg zur Haustür. Dort bleibt sie stehen
und dreht sich um.
«Ich hab meine Sachen im Auto. Beeil
dich!»
Konrad hebt hilflos die Arme.
«Und wohin fahren wir?»
«Nach Malmö. Wir müssen in einer Stunde
dort sein.»
«Aber ...?»
«Du wolltest doch mehr über mich erfahren,
oder? Und über dich selbst.»
Aus dem gekippten Fenster im zweiten
Stock ertönt plötzlich ein ziemlicher Krach, der sie hochschauen lässt. Aus der
Wohnung sind aufgebrachte Stimmen zu hören. Ein Mann und eine Frau schreien sich
an. Eine Tür schlägt zu, und dann ist es mit einem Mal wieder still.
«Beeil dich. Ich erklär es dir im Auto»,
sagt Gertrud ungeduldig.
Ein bisschen später sitzen sie in Konrads
altem Opel. Es hat eine halbe Minute gedauert, Gertrud davon zu überzeugen, dass
sie immer noch zu schlaftrunken ist, um selber zu fahren. Sie rollen über die Eisenbahnbrücke,
kommen an Bo Ohlssons Discountmarkt vorbei, dessen Parkplatz gerammelt voll ist,
biegen dann an der Ampel rechts ab und fahren weiter über den Hügel bei der Volkshochschule
in Richtung der westlichen Ausfallstraße.
«Ich hab einen Brief bekommen ...»,
sagt sie langsam.
«Aha?»
«Von Lelle ...»
«Deinem Bruder?»
«Ja.»
«Sitzt er nicht im Knast?»
«Ja, und genau da wollen wir hin.»
Konrad betrachtet sie aus dem Augenwinkel.
Der Schweiß an ihren Schläfen ist getrocknet. Durchs Seitenfenster weht ein kühlender
Wind herein. Ihre Haut ist nicht mehr ganz so rot.
«Um halb fünf ist Besuchszeit», klärt
ihn Gertrud auf. «Dann sollten wir dort sein. Sie sind ziemlich pingelig, was die
Sicherheitskontrollen angeht.»
«Sitzt er nicht in Kirseberg?»
Sie nickt. «Findest du den Weg?»
«Klar. Aber ehrlich gesagt, was soll
ich denn eigentlich dort?»
Ein tiefer Seufzer von Gertrud bewirkt,
dass er sich egoistisch vorkommt. Konrad fährt schweigend weiter. «Es geht letztlich
um dich», klärt sie ihn auf. «Um mich?»
«Ja, ich glaube schon.»
Sie kneift die Augen zusammen und blickt
durch das Seitenfenster über das sich langsam gelb färbende Kornfeld, als suche
sie da draußen in der Landschaft nach etwas. Rote Flecken von Mohnblumen leuchten
im Sonnenlicht.
«Ich hab dir doch erzählt, dass Lelle
wegen Mordes lebenslänglich einsitzt. Und er hat im Laufe der Jahre hinter Gittern
viele schräge Typen getroffen. Darüber hat er in seinem Brief geschrieben. Lehe
ist immer ein wenig kryptisch und nicht ganz leicht zu verstehen. Aber er hat dich
in seinem Brief erwähnt.»
«Mich?»
«Ich weiß nicht, ob er von dem Mord
an Herman und Signe aus der Zeitung erfahren hat. Wie auch immer, Lehe hat jedenfalls
geschrieben, dass er im Gefängnis jemanden getroffen hat, der etwas wusste. Jemand,
der dich interessieren könnte. Das ist alles, was ich bis jetzt weiß. Du kannst
den Brief gerne selbst lesen.»
«Lies du ihn, während ich fahre.»
Sie wühlt in ihrem Rucksack, bis sie
das Kuvert findet, zieht drei vollgeschriebene Papierbögen heraus und räuspert sich.
Konrad schielt auf die sorgfältig niedergeschriebenen Zeilen in ihrer Hand. Die
Worte eines Fremden aus Gertruds Mund. Er hört ihrem Lesefluss zu, versucht ihn
zu deuten. Als sie fertig ist, verstummt sie und blickt ihn erwartungsvoll an.
«Er klingt etwas wirr», bemerkt Konrad.
«Tut mir leid ...»
«Ich glaube, er kommt sich auserwählt
vor.»
Beide schweigen, auch wenn Konrad immer
noch voller Fragen steckt, die eine Antwort verlangen. In seiner Phantasie versucht
er sich ein Bild von Gertruds Bruder, dem bekehrten Mörder, zu machen. Doch vor
seinem inneren Auge entsteht lediglich eine groteske Karikatur. Seine Gedanken wandern
zu Kurt Nilsson. Er muss Gertrud auf jeden Fall von ihm
Weitere Kostenlose Bücher