Laennaeus, Olle
vernarbten Gesichtern,
Frauen mit roten schwülstigen Lippen und gefletschten Zähnen und ausgemergelte Kinder
glotzten sie an, vor sich hin murmelnd und auf sie zeigend.
Konrad und Sven richteten sich darauf
ein zu sterben. Sie kniffen die Augen zusammen und flehten um ein Wunder. Doch nichts
geschah.
Sie horchten nach den gedämpften Stimmen.
Nach einer Weile wagten sie, die Augen
zu öffnen und sich umzusehen. Da erst merkten sie, dass die Menschen um sie herum
überhaupt nicht bedrohlich waren. Sie lachten sogar. Plötzlich sah Konrad in ein
Paar Augen, die vor Neugier glitzerten. Kinderhände vor kichernden Mündern. Er hörte
dröhnendes Gelächter und entzückte Ausrufe. Und der muskulöse Zigeuner, der sie
eingefangen hatte, hatte sie längst wieder losgelassen.
Als er erneut etwas sagte, hörten sie,
dass er ein gebrochenes Schwedisch sprach, das sie sehr wohl verstanden.
«Seid ihr hungrig, Jungs? Wr wollen
gerade essen.»
Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte
er sie auf eine der Bänke nieder, die im Kreis ums Feuer standen. Eine dicke alte
Frau, vielleicht seine Ehefrau, schöpfte mit einer Kelle Eintopf in Blechschalen
und verteilte sie.
«Esst!», ermahnte sie der Mann, und
im flackernden Feuerschein sah Konrad, dass er lächelte.
«Was gibt es denn?», piepste Sven skeptisch.
«Jungenfleisch. Mit etwas Gemüse. Die
sind gestern Abend hier herumgeschlichen.»
Konrad lächelte zurück und schob sich
mutig einen Löffel voll Eintopf in den Mund. Es schmeckte wie ... tja, ganz ähnlich
wie Rindfleisch.
B esonders viel
wurde an diesem Abend, den Konrad und Sven am Lagerfeuer verbrachten, nicht gesprochen.
Doch mit ziemlicher Sicherheit hatte noch keiner aus dem Ort je zuvor mit den Zigeunern
zusammengegessen.
Die Jungen aßen schweigend mit weit
aufgerissenen Augen und gespitzten Ohren. Als sie satt waren, sahen sie die Frauen
das Geschirr zum Bach hinuntertragen. Die Kinder krochen in die Zelte zwischen Kissen
und Decken, und die Männer legten sich mit ihren Pfeifen zur Ruhe oder kümmerten
sich um ihre Pferde.
«Lauft jetzt nach Hause, Jungs. Erzählt
euren Müttern und Vätern, dass ihr mit Zigeunerhäuptling Zandor zu Abend gegessen
habt!», dröhnte der großgewachsene Mann, bevor er in einen der Wohnwagen stieg.
Am nächsten Morgen waren die Zigeuner
verschwunden. Der Campingplatz am Välabad lag genauso öde da wie immer. Die einzige
Spur von Zandor und seiner Sippe waren das heruntergetretene Gras und die schwelende
Asche des nächtlichen Lagerfeuers.
Konrad traute sich natürlich nicht,
Herman und Signe von ihnen zu erzählen. Was würden sie schon verstehen von all den
Eindrücken, die in ihm sprudelten? Herman würde ihn mit seinen treuen Kalbsaugen
ungläubig anstarren und dann zu Signe herüberschielen. Und die würde Konrad mit
größter Wahrscheinlichkeit nach oben in die Badewanne schicken, um den Schmutz wegzuschrubben,
und schließlich ein Gebet für seine Erlösung sprechen.
Und Klas, was er dachte, darüber herrschte
kein Zweifel.
«Das Zigeunerpack ist weitergezogen»,
verkündete er am nächsten Tag zufrieden am Abendbrottisch. «Zum Glück sind wir die
Parasiten wieder los.»
Herman, Signe und Konrad kauten schweigend.
«Wisst ihr eigentlich, dass sie verkümmerte
Hirne haben? Das ist wissenschaftlich bewiesen. Sie sind wie Neger, nur listiger»,
beteuerte er und schob den Küchenstuhl mit aufrührerischer Miene nach hinten.
«Tja, dann will ich mal...», murmelte
Herman und stand auf, um sich um den Abwasch zu kümmern.
Konrad starrte auf den letzten Fleischklops
und ballte die Fäuste unterm Tisch.
«In Amerika machte der Ku-Klux-Klan
jedenfalls kurzen Prozess mit den Negern. Das sollten wir mit den Gypsies auch tun»,
meinte Klas.
Als er bereits auf dem Weg durch die
Tür nach draußen war, explodierte Konrad mit einem lauten Gebrüll.
«Dein Hirn ist wohl verkümmert! Du
hast doch nur Scheiße in deinem verdammten Schweinehirn!»
Mit dem Brüllen eines wild gewordenen
Stiers im Rücken stürzte Konrad die Treppen hoch und schloss die Tür zu seinem Zimmer
ab.
S ven konnte
natürlich mal wieder nicht den Mund halten. Wahrscheinlich, weil sein Hirn das schlaueste
in der ganzen Schule war, was mathematische und physikalische Zusammenhänge betraf.
Die Lehrer übrigens eingeschlossen. Und ziemlich oft rasselte Sven sein Wissen
mit einer Geschwindigkeit herunter, die diejenige der Elektronen, die in seinem
Kopf herumsurrten, bei weitem
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