Laennaeus, Olle
hatte
schon des Öfteren unvorhersehbare Fähigkeiten bewiesen. Aber dreißig Zahlen! Das
war doch völlig unmöglich!
«Aha, wirklich ...», sagte Göransson
ungläubig.
Mit einem Mal herrschte eine gewisse
Spannung im Klassenzimmer. Die Gelangweilten und Uninteressierten, die dagesessen
und von ganz anderen Dingen geträumt hatten, erwachten plötzlich zum Leben. Achtundzwanzig
Paar Augen richteten sich neugierig auf den Lehrer, der offensichtlich Probleme
hatte, mit der unerwarteten Situation umzugehen.
«Das wollen wir doch erst mal kontrollieren.»
Mit leicht zitternden Fingern nahm
er das Blatt Papier entgegen, das Sven ihm reichte. Er betrachtete die Zahlen, und
in seinem ansonsten so strengen Gesicht breitete sich Unsicherheit aus.
«Hier fehlen ja die Rechenvorgänge.
Da stehen nur die Summen. Das reicht nicht. So wie hier sollte es eigentlich aussehen»,
sagte er kritisch und hielt der Klasse seinen eigenen Block hin. Dort waren die
gesamten Additionen gestochen scharf in ordentlichen Reihen untereinander aufgelistet.
«Das ist doch völlig unnötig», entgegnete
Sven lässig.
«Inwiefern?»
«Ich hab's im Kopf ausgerechnet. Ist
doch ganz einfach. Dann braucht man nicht so viel zu schreiben. Man kann es leicht
im Kopf rechnen.»
Göransson warf seinem Schüler einen
vernichtenden Blick zu und setzte sich wieder hinter das Katheder. Er wühlte einen
Taschenrechner aus seiner abgewetzten braunen Ledermappe und begann, die Summen
nachzurechnen. Sein rechter Zeigefinger bewegte sich so rasant wie die Nadel einer
Nähmaschine. Hinter jedem Ergebnis machte er ein Häkchen in den Block und schüttelte
den Kopf.
Schließlich richtete Göransson sein
aschfahles Gesicht auf die Klasse. Sein Blick war leer und kraftlos.
«Es stimmt», murmelte er leise. «Dreißig
Zahlen. Die Summe ist 1593.»
Eine ganze Weile saß er stumm und mit
hängenden Schultern da. Durch den Raum ging ein Murmeln. Für einen Augenblick schien
es, als wären sie Zeugen eines historischen Ereignisses geworden. Ein Stuhlbein
schabte über den Fußboden. Jemand hustete dumpf. Kleine Staubkörner schwebten durch
die Luf.
War er wirklich geschlagen? War tatsächlich
ein Wunder geschehen?
Im selben Augenblick, als es zur Pause
klingelte, sprang Donald Göransson mit verzweifeltem Gesichtsausdruck auf. In allerletzter
Sekunde war es ihm gelungen, sich zu etwas, das einem Gegenzug gleichkam, zu sammeln.
Mit einer Handbewegung hielt er die Schüler auf ihren Stühlen zurück.
«Nichtsdestotrotz», teilte er mit,
«fehlt auf Svens Papier eine vollständige Aufschlüsselung. Ein klarer Regelverstoß
also. Deshalb küre ich Lisa zur Gewinnerin des Wettbewerbs.»
Ein schwer zu deutendes Gemurmel brach
im Klassenzimmer aus, und dieses eine Mal erstickte Göransson es nicht mit seinem
stählernen Blick. Er raffte hastig seinen Rechner und seine Bücher zusammen, verstaute
sie in der Mappe und verließ das Klassenzimmer.
Man hätte meinen können, dass Sven
Myrberg nun zumindest für eine Zeitlang der Held der gesamten Schule sein würde.
Denn nie zuvor hatte jemand den verabscheuten Mathematiklehrer derart in seine
Schranken gewiesen.
Das war jedoch nicht der Fall.
Lisa Pälsson und ihre Freundinnen verbreiteten
nämlich schnell das Gerücht, dass Sven geschummelt hätte, und im Lehrerzimmer gelang
Donald Göransson dasselbe.
Für Benny und seine Kumpels war es
nicht gerade schwer, Svens haushohen Sieg in eine schändliche Niederlage zu verwandeln.
Die Ameise hatte ja wieder einmal bewiesen, dass sie nicht ganz normal war.
«Ist doch völlig krank, so viele Zahlen
im Kopf zu haben», platzte es bereits im Korridor aus Benny heraus.
«Der glotzt bestimmt immer ins Mathebuch,
wenn er sich einen runterholt», kicherte Roland.
«Verdammter Zahlenschwuli», murmelte
Benny.
Als Konrad viele Jahre später begriff,
wie das Ganze zugegangen war, wurde er nur in seiner Auffassung bestärkt, dass
Sven Myrberg tatsächlich eine Art Genie war.
I m Sommer nach
der Neunten bekamen Konrad und Sven einen Ferienjob in Lantmännens Silo bei Spjutstorp.
Sie waren beide für den Herbst in der metallverarbeitenden Fachrichtung an der Osterportschule
in Ystad angenommen worden, was keiner großen Leistung bedurfte. Sven war zwar von
der Lehrerschaft in Tbmelilla benachteiligt worden, aber dank seiner Begabung konnte
man nicht umhin, ihm Noten zu geben, die locker für die technische oder die naturwissenschaftliche
Oberstufe gereicht hätten. Sven
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