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Laienspiel

Laienspiel

Titel: Laienspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kobr Volker Klüpfel
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für heute entbehren könnten, Herr Yildrim? Frau Kluftinger sagt, es sei wirklisch dringend, und bei all dem, was er heute durchgemacht hat, braucht er ja auch seinen Feierabend, er is ja ooch nisch mehr der Jüngste. Aber er würde Sie eben selbst nie danach fragen.«
    Kurz darauf erschien Faruk Yildrim im Türrahmen und sagte mit einem Lächeln zu Kluftinger: »Warum haben Sie denn nichts gesagt von Ihrem wichtigen familiären Termin, Herr Kluftinger? Das ist wirklich kein Problem.« Er machte eine kurze Pause und zwinkerte ihm dann zu. »Und das nächste Mal schicken Sie nicht die Frau Henske vor, sondern kommen selbst zu mir, ja?«
    Bevor eine Erwiderung möglich war, hatte Yildrim die Tür bereits wieder zugezogen.
    Sandy Henske sah schuldbewusst aus. Sie schien sagen zu wollen, dass sie das ja auch wieder nicht gewollt habe, brachte aber keinen Ton heraus.
    »Nie wieder«, zischte Kluftinger, »nie wieder so ein Alleingang, verstanden?«
    Sandy, die von ihrem Chef noch nie so scharf angesprochen wurde, sah zu Boden und presste aus bebenden Lippen ein leises »Tschuldigung, Chef« hervor.
    Als Kluftinger die Tanzschule in der Kemptener Innenstadt betrat, erfüllte ihn ein Gefühl tiefer Resignation: War er denn nicht Manns genug, auch einmal Nein sagen zu können? Konnte er seiner Frau nicht ein einziges Mal Paroli bieten? Ihr einen einzigen kleinen Wunsch abschlagen? Im Endeffekt lag genau da der Hase im Pfeffer: Er konnte seine Frau einfach nicht enttäuschen. Und sie wäre enttäuscht gewesen, hätte er sich geweigert, mitzugehen. Bitter enttäuscht. Über Wochen. Sie war eine emotionale Erpresserin, und er hatte sämtliche Lösegeldforderungen bislang immer erfüllt.
    Er beschloss, es in Zukunft nicht mehr so weit kommen zu lassen, auch wenn er bereits wusste, dass er es nicht durchhalten würde. Für die aktuelle … er umschrieb im Geiste seine missliche Lage neutral mit »Situation« … brachte ihm diese Erkenntnis allerdings gar nichts. Er war hier, und er würde Teil dieses Abends sein, ob er wollte oder nicht. Und er wollte nicht.
    Schon der Geruch des Tanzsaals rief in ihm bittere Erinnerungen wach: an seine Jugendzeit, als sie auf katholischen Freizeiten auch Tanzunterricht bekommen hatten; daran, dass dort meist nur Jungen miteinander getanzt hatten, weil alles andere moralisch nicht vertretbar gewesen wäre; an die hübsche Lehrerin bei seinem ersten Tanzkurs, die ihn mehr interessiert hatte als alle gleichaltrigen Mädchen, und seine feuchten Hände, wenn sie ihm einen neuen Schritt beibrachte, sowie seine Verlegenheit deswegen, die in noch feuchteren Händen mündete. Dann die Erinnerungen an seinen letzten Tanzkurs kurz vor der Hochzeit, an die Leichtfüßigkeit, mit der er damals noch übers Parkett geschwebt war … eine Leichtfüßigkeit, die der Tanzlehrer seinerzeit als »elefantöses Getrampel« bezeichnet hatte … alles in allem keine guten Erinnerungen, wie er fand.
    Auch der Tanzsaal sah genau so aus, wie er ihn vor seinem geistigen Auge noch vor sich sah: ein großer, rechteckiger Raum, ausgelegt mit dunklem, zerschrammtem Parkett, eine riesige Spiegelwand, die sein Unbehagen verdoppelte, ein paar plüschige Sitzgelegenheiten hinter einem Mäuerchen, am anderen Ende des Saals eine Bar. Eine riesige Discokugel hing in der Mitte des Raumes von der Decke. Das alles atmete die Atmosphäre längst vergangener Zeiten, sodass Kluftinger sich fühlte, als habe er nicht nur die Tür zu seelischer Pein, sondern auch gleich noch ein Zeitfenster aufgestoßen.
    Nur die Musik, die aus den Lautsprechern dröhnte, verwies eindeutig auf die Gegenwart. Satte Bässe fuhren ihm in die Magengrube, er hörte Textfetzen wie »Yo, Man« und »Masafacka«, die er nicht verstand. Dazu zuckten auf der Tanzfläche junge Menschen wild mit ihren Gliedmaßen, ließen sich ab und zu auf den Boden fallen, um dort Handstände oder andere Akrobatik zu vollführen. Hin und wieder wogten sie mit den Hüften wie Naturvölker bei Fruchtbarkeitsriten. Kluftinger bekam große Augen: Das verstand man heute unter einem Tanzkurs? Er sah kein einziges Pärchen, nur erstaunlich gelenkige Solisten in Hosen, deren Bund unter dem Hintern hing und deren Boden in den Kniekehlen begann. Vor seinem geistigen Auge sah er sich bereits schwitzend am Boden liegen und unter den Anfeuerungsrufen von Erika und Dr. Langhammer einen Handstand probieren … nein, dachte er, das würde er nicht mitmachen, für alles gab es Grenzen, für

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