Laienspiel
alles …
»Erika«, setzte er an, wurde aber von einer Durchsage unterbrochen.
»Danke, das war’s!« Schlagartig war die Musik verstummt und eine Stimme verabschiedete über Lautsprecher den »Jugendkurs Hip Hop« … für Kluftinger hatte es eher ausgesehen wie »Hoppel Poppel«. Immerhin: dieses Zucken, dem der Mann am Mikrofon da eben einen Namen gegeben hatte, würde ihm wenigstens erspart bleiben, denn zum Jugendkurs waren er und die anderen angegrauten Herrschaften, die er vor der Türe gesehen hatte, eindeutig nicht eingeteilt.
Plötzlich befanden sich der Kommissar und seine Frau in einem Strom erhitzter, lachender junger Menschen, die fast alle große Baseballkappen zu ihren unglaublich schlecht sitzenden Hosen trugen, und er meinte von einem mit einem spöttischen Blick bedacht worden zu sein und das Wort »Rentnerkurs« aufgeschnappt zu haben.
Dann ertönte wieder Musik, und diesmal fühlte sich Kluftinger schon ein bisschen mehr zu Hause: »Marie, der letzte Tanz ist nur für dich« trällerte da unverkennbar der große Rex Gildo, von dem Kluftinger sogar seinen bürgerlichen Namen Ludwig Alexander Hirtreiter kannte, was ihm nun völlig zusammenhangslos einfiel, und er wurde ein bisschen melancholisch. Nicht nur, weil sich Rex Gildo, dessen Musik er immer gerne gehört hatte, vor einigen Jahren mit einem Sturz aus dem Fenster das Leben genommen hatte, sondern vor allem, weil er wusste, dass bis zu seinem für heute letzten Tanz noch viele schreckliche Minuten vergehen würden.
»Wir sind jetzt dran«, sagte Erika an seinen Arm geschmiegt. Auch sie schien wegen der Musik und der Atmosphäre des Tanzsaals in Erinnerungen zu schwelgen … allerdings in deutlich angenehmeren als er. Sie setzten sich auf eine der gepolsterten Bänke gegenüber dem Eingang.
Kluftinger holte gerade seine neuen Schuhe heraus, da betrat Dr. Langhammer den Saal. Was heißt betrat: Er erschien! »Der Colt steckt immer im Pyjama«, schmetterte Rex Gildo gerade und Kluftinger wünschte sich, er hätte seinen ebenfalls dabei … wahlweise um sich oder aber der Erscheinung vor ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen: Langhammer trug eine dieser schwarzen Hosen mit seitlich aufgenähtem Glitzerband samt silbern glänzender Bauchbinde, wie sie der Kommissar aus amerikanischen Filmhochzeiten oder von Tanzturnieren kannte, deren Fernsehübertragungen für ihn regelmäßig die Tiefpunkte langweiliger, verregneter Novembersonntage markierten. Dazu trug er ein enges schwarzes Hemd und eine ebenfalls silbrig glänzende Weste, die Kluftinger an die Discokugel an der Decke erinnerte. Annegret folgte ihm in einem eleganten nachtblauen Kostüm und sah für den Kommissar darin erfrischend unauffällig aus. Aber neben ihrem Mann hätte wahrscheinlich sogar ein Pfarrer in brokatenem Messornat dezent gewirkt.
»Na, meine Lieben, ihr seid ja schon da«, begrüßte sie der Doktor strahlend. »Erika, das ist wirklich ein so tolles Geschenk, das du uns da gemacht hast, nicht wahr, meine Taube?« Annegret lächelte nur leicht.
Kluftinger erinnerte Langhammers Begrüßungsrede schmerzlich daran, dass seine Frau mit ihrem vermaledeiten Weihnachtsgeschenk die ganze Sache überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte. Während sich der Doktor darüber zu freuen schien wie eine Ballprinzessin über ihr Krönchen, hatte Kluftinger dieses Geschenk, das sicher nicht gerade billig gewesen war, etwa so viel Begeisterung entlockt wie seiner Frau das Präsent, das sie von ihm bekommen hatte: Er hatte sich von einer Verkäuferin überrumpeln lassen und ihr zu einem Bademantel auch noch bordeauxrote Dessous gekauft. Die waren inzwischen … er war neulich zufällig darauf gestoßen … ganz unten im Wäscheschrank gelandet, und sie hatten seither nie wieder darüber geredet. Immerhin: Den Bademantel hatte sie fast täglich an.
»Das ist noch aus meiner Zeit als Formationstänzer«, beantwortete Langhammer Kluftingers verächtlichen Blick auf seine Aufmachung.
»Ja, wenn ich das gewusst hätt, dann hätt ich mir vorsichtshalber eine Sonnenbrille mitgebracht«, knurrte der zurück und kniff die Augen zusammen, als schaue er direkt in gleißendes Sonnenlicht.
Mit einem ähnlichen abfälligen Gesichtsausdruck musterte Langhammer die neuen Tanzschuhe des Kommissars. Er holte gerade Luft, um sie zu kommentieren, da ertönte wieder die Stimme aus dem Lautsprecher: »Hallohalli, meine hochverehrten Damen, geschätzte Herren! Bitte alle Paare auf die Tanzfläche
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