Laienspiel
froh, dass er den Rhythmus halten konnte.
»Schuldigung. Hore bitte auf!«
Kluftinger machte ungerührt einen Ausfallschritt zur Seite und schwang das andere Bein unmotiviert nach vorn.
»Bitte! Bitte, hore sofort auf jetze!«
Erst jetzt bemerkte er, dass der Ausruf ihm galt. Er drehte sich um und blickte in die durchdringenden schwarzen Augen der Tanzlehrerin.
»Wasse bitte isse das? I abe Sie beobaktet: Sie macke immer nur eine Sritt aufe alle Arte von Melodie! Wasse solle das sein, bitte? Sage Name.«
Kluftinger sah in ihr verkniffenes Gesicht. Er bemerkte, dass sie stark geschminkt war; ihre Augenbrauen waren vollständig gezupft und wurden von einem dicken schwarzen Strich ersetzt. Das verlieh ihr einen unnatürlich und unheimlich wirkenden Gesichtsausdruck.
»Sage Name! Wie eiße?«, wiederholte die Tanzlehrerin scharf.
Wie ferngesteuert öffnete der Kommissar seinen Mund und antwortete: »Kluftinger.«
Die Frau blickte ihn verständnislos an. »Abe noch in ganze Läbe nix gehört von Tanz solle heiße Kluftinger. Was solle bitte sein? Isse Volketanz von Bayern?« Francesca gab sich wenig Mühe, ihr Zwiegespräch vor den anderen zu verbergen. Einige der Paare begannen ob der lautstark vorgetragenen Kritik am Tanzstil des Kommissars zu kichern und schauten immer wieder verstohlen zu ihnen herüber.
Die erhitzten Wangen Kluftingers röteten sich noch ein bisschen mehr. »Nein, nein, nicht der Tanz, ich heiße …«
Francesca wandte ihm bereits wieder den Rücken zu. Als sie merkte, dass er noch etwas sagen wollte, drehte sie sich noch einmal um und entgegnete: »Isse auch ganse egal. Was fehlt in Ihre Blut, isse Ritmmo, isse Temperamento. Schaue Sie Ihre Nachbar, der weiße genau wie musse macke!«
Wie von einer Schnur gezogen wandten sich ihre und die Köpfe der Tanzpaare neben ihnen den beiden zu, die Francesca gemeint hatte: Annegret und Martin Langhammer.
Ein paar Sekunden lang beobachtete Kluftinger das Schauspiel ungläubig: Die Italienerin fand tatsächlich, dass das besser war als sein
– zugegebenermaßen nicht besonders eleganter, dafür aber zurückhaltender … Stil? Langhammer kam Kluftinger vor wie einer dieser Fluglotsen, die große Maschinen in ihre Parkposition einwinken, so ausladend ruderte er mit seinen Armen herum. Als der Doktor bemerkte, dass er beobachtet wurde, setzte er noch einen drauf, drehte sich in einer Art Pirouette schwindelerregend schnell um die eigene Achse und hätte beinahe dem Kommissar seine Hand ins Gesicht geklatscht. Dazu schob sich Langhammers Zunge immer aus dem der Drehung entgegengesetzten Mundwinkel heraus.
Priml, dachte sich Kluftinger. Wenn ich so aussehen will, brauch ich keinen Tanzkurs, dann reichen mir auch ein paar Maß auf der Festwoche, ein zünftiger Rinderwahn oder ein bisschen Tollwut.
»So, Di-Da-Dankeschön!« Hansjürgen meldete sich wieder zu Wort. »Wir haben uns jetzt ein Bild machen können und kommen zu unserem ersten Tanz, den wir heute auffrischen möchten. Bei allen … bei fast allen klappt das ja noch ziemlich gut, deswegen fangen wir gleich mit einem der schwersten, aber auch einem der schönsten Tänze an, jetzt, wo wir noch frisch sind …«
Kluftingers nahmen in der Reihe Aufstellung, Langhammers stellten sich gleich neben sie. »Na, mein Gutester«, sagte der Doktor, »da fühlt man sich doch gleich wieder wie ein Teenager, was? Das ist das pure, wilde Leben. Wenn einem der Rhythmus so in die Beine fährt …«
Oder ins Hirn, dachte der Kommissar. Dabei betrachtete er angewidert Langhammers Aufmachung: Sein Hemd, das er nun fast bis zum Bauchnabel aufgeknöpft hatte und damit seine haarige Brust entblößte, für die Hansjürgen wahrscheinlich gemordet hätte, war nahezu durchgeschwitzt, und der Schweiß rann ihm in Strömen übers Gesicht. Jetzt ein kalter Windzug, und wir sind ihn für eine Weile los, schoss es Kluftinger durch den Kopf.
»Alles fertigmachen zum …«, Hansjürgen machte eine bedeutungsschwere Pause, »Tango!«
Na klar, resignierte Kluftinger innerlich, was auch sonst. Lateinamerikanische Rhythmen und er gingen in etwa so zusammen wie Kässpatzen und Salsa-Soße.
Langhammer dagegen stieß ein begeistertes »Si, señor!« aus.
»Wir stellen uns alle mal in einer Reihe in Richtung Spiegel auf.« Hansjürgen drehte ihnen den Rücken zu. »Ich mache den Schritt vor, Sie machen ihn einfach nach. Also: Vor, vor, der Wie-ge-schritt und Rück-seit-schluss.« Wie ein Mantra wiederholte
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