Laienspiel
aus als der Doktor: Seine Haare klebten nass an seinem Schädel, große Schweißflecken prangten auf seinem Hemd. Allerdings war es bei ihm weniger die körperliche Anstrengung. Die kam noch dazu. Er war gestresst. Gedemütigt. Er hatte genug. Er wollte weg. Er sah auf die Uhr: noch eine Stunde.
»Sodali, sodala«, trällerte Hansjürgen, als Kluftinger sich mit einem verkrampften Lächeln zu seiner Frau gesellte. »Abklatschrunde.« Das bedeutete zu Kluftingers Leidwesen allerdings nicht, dass man dem Tanzlehrer ungestraft eine scheuern durfte. Tatsächlich sollte alle paar Minuten auf Hansjürgens Zeichen im Uhrzeigersinn der Partner gewechselt werden.
Mit der ersten Partnerin nach Erika kam er gut zurecht. Man tanzte Walzer. Den von den Hochzeiten. Sein Tanzstil hatte sich zwar nicht deutlich verändert, die Dame aber stellte sich darauf ein. Die Tanzlehrerin und Hansjürgen tanzten selbst und ließen ihn in Ruhe. Kluftinger entspannte sich innerlich ein bisschen.
Allerdings nur, bis er beim nächsten Klatschen vor einem Gebirge von Frau stand. Er war ja selbst nicht der Schlankste, aber das? Er hatte keine Ahnung, wie er da … seine Arme herumbringen sollte. Bevor die Musik von Neuem begann, lächelte sie ihn lasziv an. Unwillkürlich sah er sich um, als wolle er sich versichern, dass sie wirklich ihn gemeint hatte.
Als die Tanzrunde begann, versuchte er krampfhaft, nicht in den Wandspiegel zu schauen. Es war sicher kein schöner Anblick, den sie beide da abgaben: Er mit seinen verklebten, schütteren Haaren, den Kopf weit nach vorn gebeugt, weil ihm die ausladende Oberweite der Frau kein Näherkommen ermöglichte. Das Paradoxe daran war, dass er, obwohl er so weit von ihr entfernt tanzte, trotzdem einen so engen Körperkontakt hatte, wie er ihn nicht einmal mit seiner Frau beim Tanzen pflegte. Während er darüber nachdachte, rutschte er wegen seiner unorthodoxen Haltung und seiner Ledersohlen nach hinten weg. Um nicht umzufallen, krallte er sich in das weiche Fleisch der Frau.
Statt zu protestieren, zwinkerte sie ihm erneut zu und flüsterte: »Na, Sie sind mir ja vielleicht einer …!«
Nackte Panik ergriff den Kommissar, und er suchte fieberhaft nach einem Ausweg. Er blickte nun doch in den Spiegel, allerdings nur, um sich zu versichern, dass sie gerade nicht unter Aufsicht der Tanzlehrer standen, schob dann seine Arme noch ein bisschen weiter um den Fleischberg vor sich, was der Frau ein entzücktes Quieken entlockte, und wollte hinter ihrem Rücken in die Hände klatschen. Doch seine Arme waren zu kurz. Also löste er sich aus der Umarmung und klatschte schnell und laut.
Sofort lösten sich die Paarungen auf. Kluftinger seufzte erleichtert. Hansjürgen blickte irritiert in die Runde, unterband den vorzeitigen Wechsel jedoch nicht.
Bei der nächsten Partnerin war es Kluftinger, der sich wie ein unförmiger Fleischberg vorkam: Es war die hübsche Blondine, die seinen Blick vorher so ungeniert erwidert hatte. Nun hatte er Skrupel, dass sie ihre Arme um seinen verschwitzten, ausladenden Körper legen musste. Er hätte gern etwas mehr von dem Selbstvertrauen seiner letzten Partnerin gehabt, doch er fühlte sich in unmittelbarer Gegenwart dieser Schönheit alt und unattraktiv. Er konzentrierte sich krampfhaft auf die Schrittfolge, denn der jungen Frau gegenüber wollte er sich nicht als Tölpel erweisen. Doch dann passierte etwas, was er nicht erwartet hatte: Sie wurde rot. Ja, sie senkte ganz eindeutig verlegen den Kopf. Stand seine Hose offen? Angsterfüllt sah er an sich herab, doch alles war in bester Ordnung.
»Ich habe Sie schon die ganze Zeit beobachtet«, hauchte sie mit betörender Stimme und biss sich dabei auf die Lippen. Kluftinger war so perplex, dass er kurzzeitig stehen blieb. »Sie … Sie sind doch der berühmte Kommissar, oder?«, fuhr sie fort. »Ich kenne Sie aus dem Fernsehen. Ich war schon ganz nervös, dass ich gleich mit einem so bekannten Mann tanzen werde.«
Jetzt war er baff. Sie war nervös? Er war es doch gewesen, der sich in ihrer Gegenwart so unsicher gefühlt hatte. Sofort hoben sich seine leicht hängenden Schultern, er zog den Bauch etwas ein und richtete sich merklich auf. »So? Aus dem Fernsehen? Ach, das war doch gar nichts …«
»O doch, das war toll. Es ging da um irgendeinen See in Füssen. Mann, das war wie ein Krimi! Ich heiße übrigens Uta.«
Ein schöner Name, wie Kluftinger fand. Wobei das vor allem daran lag, dass er einmal eine Uta gekannt hatte,
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