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Lamento

Titel: Lamento
Autoren: Maggie Stiefvater
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begann, die Milchshake-Maschine zu putzen. Ich fragte mich, ob sie mich später darauf ansprechen würde. Aber vor allem fragte ich mich, ob Luke mich noch einmal so berühren würde.
    Luke wies mit einem Nicken zur Tür, und wir traten wieder hinaus in den unerträglichen Sonnenschein. Der Parkplatz neben seinem Auto war leer, also setzten wir uns auf die Leitplanke, die als vordere Begrenzung diente. Im Schatten, mit einer Tüte Eis in der Hand, war es fast angenehm.
    »Ich hatte also etwas an der Schulter, ja?«
    Luke lächelte und leckte an seinem Eis. »Du wolltest doch gerettet werden, oder nicht?«
    »Du kannst einem Mädchen so etwas nicht einfach ohne Vorwarnung antun. Das ist nicht fair. Ich hätte in Ohnmacht fallen können oder so.«
    Seine Stimme klang beinahe selbstgefällig. »Du fandest es also schön?«
    Mit glühenden Wangen musterte ich die glänzenden Tropfen aus schmelzendem Eis, die sich am Rand meiner Waffel bildeten. »Was für eine dämliche Frage.«
    »Das ist neu für mich. Diese speziellen Fähigkeiten gehören nicht zu meinem Repertoire. Ich probiere sie zum ersten Malaus. Und ich freue mich sehr, dass ich aus all diesen Frauenfilmen tatsächlich etwas gelernt habe.«
    Ich wollte ihm so gerne glauben, aber es war absolut unmöglich. »Du hattest doch schon Freundinnen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Keine Frau hat mich je dazu inspiriert, meinem Lotterleben den Rücken zu kehren. Darf ich an dir üben?«
    Kleinlich von mir, aber das Wort »üben« regte mich furchtbar auf. Ich wollte niemandes Übung sein. »Nein, darfst du nicht.«
    Er seufzte. »Siehst du, du bist schlau. Na schön. Aber hättest du etwas dagegen, wenn ich eine Weile in deiner Nähe bleibe? Du faszinierst mich, und ich will wissen, warum.«
    »›Faszinieren‹ ist ein ziemlich starkes Wort«, sagte ich. »Pflanzen faszinieren Botaniker. Sterne faszinieren Astronomen. Käfer faszinieren … äh … Käferologen. Ich bin nicht sicher, ob ich studiert werden möchte. Ich bin nicht sicher, ob ich es
wert
bin, studiert zu werden.«
    Luke überlegte. »Aber natürlich bist du es wert, studiert zu werden. Du bist ganz außergewöhnlich, in allem, was du tust. Ohne jeden äußerlichen Einfluss. Du bist außergewöhnlich in allem, einfach, weil du es
versuchst
. Keine übermenschlichen Kräfte. Nur harte Arbeit. Das ist wirklich erstaunlich. Oh, jetzt habe ich es schon wieder geschafft. Du bist sauer auf mich.«
    Ich hatte mich bemüht, mir nichts anmerken zu lassen, aber es ging nicht. Allerdings irrte er sich. Ich war nicht sauer, sondern enttäuscht. Nur dieses eine Mal wollte ich nicht, dass jemand sah, was ich konnte, und davon eingeschüchtert oder beeindruckt war. Ich wollte, dass jemand nur
mich
sah, was
mich
ausmachte, und davon fasziniert war. Ich hatte es satt, mir von Leuten, die nicht das Geringste über mich wussten, anhören zu müssen, wie großartig und phantastisch ich doch sei. Ichhatte mich der Illusion hingegeben, dass Luke mit der echten Dee geflirtet hatte, nicht mit der, die für CD-Cover und Listen herausragender Absolventen bestimmt war.
    »Himmel, du bist so sauer, dass du nicht mal mehr ein Wort rauskriegst!« Luke rutschte näher und sah mir ins Gesicht. »Jetzt bin ich gewaltig ins Fettnäpfchen getreten, was? Dabei weiß ich noch nicht einmal, was ich Schlimmes gesagt habe.«
    Meine Stimme war nur halb so kräftig, wie sie sein sollte, was mich noch mehr ärgerte. Wie in aller Welt hatte er es geschafft, mich zum Weinen zu bringen? »Ich … ich habe es nur so satt, dass die Leute mir ständig erzählen, wie talentiert ich bin. Ich wäre gern auch dann interessant, wenn ich der untalentierteste Mensch auf Erden wäre. Alle schauen mich an und sehen nur diese dämliche Harfe. Sie sehen nie, wer ich wirklich bin.«
    Luke hob den Daumen und wischte sacht die eine Träne fort, die mir doch entwischt war. »Weine nicht, hübsches Mädchen. Wer du wirklich bist, ist der Grund dafür, dass du in allem so gut bist. Du lässt gar nicht zu, dass du anders sein könntest. Und
das
fasziniert mich an dir.«
    Ein Teil von mir wünschte sich, seine Hand möge noch ein wenig bleiben, aber aus Stolz und Verlegenheit schob ich sie weg.
Zerbrechlich
war kein Image, das ich gern haben wollte. »Normalerweise weine ich nicht. Ich meine, außer, wenn ich frustriert bin. Ich fühle mich so …« Ich rang um Worte und einen Rest von Würde.
    »Dein Eis schmilzt«, bemerkte er leise.
    Erleichtert widmete ich mich
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