Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
etwas gestehen.«
    Mein Herz machte einen Satz. Ich hatte eine schreckliche Ahnung, was er mir sagen wollte, und hätte mir am liebsten die Ohren zugehalten.
Nicht, James. Du bist mein bester Freund.
    Aber er sagte es nicht. »Ich bin ein bisschen hellsichtig«, erklärte er stattdessen, dann hielt er inne. »Lach ruhig. Etwa fünfzehn Sekunden lang wäre wahrscheinlich angemessen, ohne dass die Ungläubigkeit allzu unhöflich wird.«
    Ich lachte nicht. »Ich glaube dir.«
    »Oh. Das vereinfacht das Ganze, oder?« James blickte zum Haus hinüber und fuhr sich mit den Fingern durch das braune Haar. »Also, ich bin kein besonders guter Hellseher. Aber ich habe Ahnungen, die sich immer als richtig erweisen. Und ich bekomme so ein seltsames Gefühl, wenn ein seltsamer Tag bevorsteht. Das kommt nicht sehr oft vor. Peter hat mir erzählt, dass es ihm genauso geht.« Peter war James’ älterer Bruder und derzeit auf Pilgerfahrt nach Kalifornien, auf der Suche nach Ruhm und Reichtum mit seiner Rockband. James vergötterte ihn, und auch ich fand Peter ziemlich cool – er war möglicherweise der einzige andere Nicht-Verwandte außer James, mit dem ich reden konnte.
    James biss sich auf die Unterlippe, ehe er fortfuhr. »Gesternwar merkwürdig. Und heute auch. Ich hatte das Gefühl, dass du traurig bist, deshalb bin ich früher von der Probe weg. Was ist los?«
    Plötzlich kam ich mir dumm vor, weil ich ihm nicht von Anfang an alles erzählt hatte. Also tat ich es jetzt, allerdings unterschlug ich den Teil, wie Luke mich berührt und wie sich seine Lippen so dicht an meinem Ohr angefühlt hatten. Aber alles andere schilderte ich ihm so haargenau, wie ich nur konnte.
    Er nahm den Schlüssel, den ich aus der Hosentasche zog, und den Ring von meinem Finger, und betrachtete sie genau. »Sie sind beide aus Eisen. Ist das nicht komisch?«
    »Komisch im Sinne von ›Haha, sehr lustig‹ oder komisch im Sinne von ›seltsam‹?«
    James gab mir beides zurück. »Komisch im Sinne von ›okkult‹.«
    »Aha. Also seltsam.«
    James sah mich streng an. »Fang nicht damit an. Ich bin hier derjenige mit dem schrägen Humor.« Er sah zu, wie ich den Ring wieder ansteckte und den Schlüssel in die Hosentasche schob. »Eisen soll gegen böse, übernatürliche Wesen schützen, wenn man diesen magischen Druidenquatsch glaubt.«
    Ich konnte mir einen Seitenhieb nicht verkneifen. »Wenn das magischer Druidenquatsch ist, wieso weißt du dann etwas darüber?«
    »Ein Mann sollte über eine gute Allgemeinbildung verfügen.«
    »Na ja, Granna
glaubt
an solches Zeug«, sagte ich. »Sie steht auf diesen holistischen, spirituellen Kram. Die Eigenschaften von Weltraumschrott. Einmal hat sie mir die Farbe meiner Aura verraten.«
    »Meine hat ein Schottenkaro«, bemerkte James, nahmmeine Hand in seine bekritzelten Hände und drehte geistesabwesend meinen Ring herum. Was mich daran erinnerte, wie Lukes Hand vorhin meine berührt hatte.
Wie können sich zwei Hände so völlig verschieden anfühlen?
»Und der Klee? Das Kleeblatt, das du heute Morgen bewegt hast? Hast du es noch?«
    »Von dem ich
dachte
, ich hätte es bewegt«, korrigierte ich ihn kopfschüttelnd und verlagerte mein Gewicht, um es aus der Tasche zu holen. »Ja.«
    »Dann beweg es jetzt.«
    Ich starrte ihn finster an.
    »Na ja, wenn du es wirklich nicht bewegen kannst, wie du gesagt hast, wird es sich nicht bewegen, und du brauchst dir deswegen keine Gedanken mehr zu machen, oder? Aber wenn es sich doch bewegt – tja, dann bist du ein echter Freak.« James grinste, zupfte das leicht zerdrückte Kleeblatt von meinem Finger und legte es ins spärliche Gras unter dem Baum. »Los, lauf, magisches Kleeblatt.«
    »Ich komme mir dermaßen albern vor«, sagte ich. Wir hockten da wie zwei Kinder über einem Ouija-Brett. Ein Teil von uns wünschte sich, dass etwas Seltsames geschehen möge, damit wir den Beweis dafür bekamen, wie geheimnisvoll die Welt war. Und der Rest von uns hoffte verzweifelt, es würde nichts passieren, damit wir den Beweis dafür bekamen, dass die Welt sicher und weitgehend frei von Ungeheuern war. Ich hielt die hohle Hand auf wie am Vormittag, um dem Kleeblatt ein Ziel zu geben. »Komm her, Kleeblatt.«
    Ein Luftzug küsste den Schweiß auf meiner Stirn. Das Kleeblatt wirbelte in meine Hand.
    James schloss die Augen. »Mir läuft es eiskalt den Rücken runter.«
    »Das war der Wind.«
Das war nur der Wind.
    Er schüttelte den Kopf und öffnete die Augen. »Mir wirdimmer kalt,

Weitere Kostenlose Bücher