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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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stand er plötzlich neben einer Buche, drei Meter näher. Ich bekam eine Gänsehaut.
    »Schöner Abend.«
    Die Stimme erklang direkt neben mir.
    Adrenalin schoss durch meine Adern. Ich holte aus, schlug kräftig zu und spürte Haut unter meinen Knöcheln.
    »Meine Güte«, stöhnte Luke neben mir. »Das wird mir eine Lehre sein. Ich werde mich nie wieder an dich heranschleichen.«
    Mir stockte der Atem. Ich hätte verlegen sein sollen, aber ich war so überwältigt vor Freude, dass Luke da war. »Ich dachte, du wärst dieser Freak. Der Typ vom Empfang«, sagte ich lachend.
    Er trat ins Licht und rieb sich den Kiefer. »Nein, bin ich nicht. Na ja, ich bin
ein
Typ vom Empfang.« Das goldene Abendlicht fing sich in seinem hellen Haar und setzte ihmeinen Heiligenschein auf. Er blickte auf das vierblättrige Kleeblatt auf meinem Bein hinab, verzog das Gesicht und pflückte es ab. »Wieso hast du eigentlich immer eines von diesen Dingern dabei?«
    »Und wieso stört dich das so?« Sofort bereute ich meine Erwiderung. Ich wollte ihn doch auf keinen Fall wieder verjagen, indem ich die Regeln brach. »Ich dachte, du wärst endgültig weg.«
    Luke ging neben mir in die Hocke und starrte eindringlich zu der Buche hinüber, wo der rothaarige Typ gestanden hatte, ehe er den Blick löste und mich ansah. »Du klingst so traurig, hübsches Mädchen.«
    Ich schaute weg und tat so, als wäre ich gekränkt, damit er nicht merkte, was ich in diesen zwei Tagen tatsächlich empfunden hatte. »Ich
war
so traurig.«
    »Ich dachte auch, ich sei endgültig weg.« Er ließ sich im Schneidersitz vor mir nieder und legte sich den Flötenkasten in den Schoß. »Bedauerlicherweise bin ich immer noch fasziniert. Darf ich mit dir spielen?«
    »Obwohl ich dir eine verpasst habe?«
    »Trotzdem. Allerdings hast du dich noch nicht dafür entschuldigt.«
    »Du hast es zum Teil verdient, weil du einfach so verschwunden bist.« Ich grinste und hob die Finger an die Saiten.
    Luke hob die Flöte. »Nach dir.«
    Ich begann wieder mit »The Maids of Mitchelltown«. Luke erkannte das Lied auf der Stelle und fiel ein. Seltsam, wie anders zwei Instrumente klangen als eines allein – ein Riesenunterschied. Nun, da wir zu zweit spielten, klang der alte Volkstanz so schön, dass ich mich in der Melodie, die wir gemeinsam woben, hätte verlieren können.
    Lukes Blick war starr auf die Buche vor dem Rand des Gartensgerichtet, während wir spielten, obwohl es dort nichts zu sehen gab. Plötzlich fiel mir der sommersprossige Typ wieder ein – irgendwie vergaß ich in Lukes Gegenwart alles außer ihm. Aber von dem Rothaarigen war nichts mehr zu sehen. Ich wollte lieber nicht darüber nachdenken, was hätte passieren können, wenn Luke nicht aufgetaucht wäre.
    Das Stück endete. Luke ließ die Flöte sinken. Als spüre er meine bekümmerten Gedanken, sagte er: »Spielen wir doch etwas Fröhlicheres, ja? Etwas, das dich zum Lächeln bringt.«
    Du bringst mich zum Lächeln
, dachte ich, quittierte seine Bitte jedoch mit einem Grinsen und begann »Merrily Kiss the Quaker’s Wife« zu spielen. Er stimmte ein und kehrte der Buche bedächtig und entschieden den Rücken zu.

Fünf
     
     
     
     
     
    Am Donnerstag trat ich im gewohnten Outfit, ein weißes T-Shirt mit einem Bild von Dave dem Pinguin darauf, meine Schicht bei Dave’s Ice an. Meine Kollegin heute: Sara. Während des geschäftigen Vormittags schafften wir es, nur ein paar kurze Worte zu wechseln, doch im Lauf des Tages zogen Regenwolken auf, und es kam kaum noch Kundschaft. Ich versuchte, ihr aus dem Weg zu gehen, indem ich das Aufnahmeformular von Thornking-Ash aus dem Rucksack holte. Mit dem Rücken zu Sara beugte ich mich über die eiskalte Theke und trug oben meinen Namen ein, ganz langsam, in der Hoffnung, dass sie den Wink verstehen würde.
    Es funktionierte nicht.
    »Du weißt ganz genau, dass du irgendwann mit der Sprache rausrücken musst. Also, raus damit.« Saras Stimme war unheilvoll dicht neben meinem Ohr, und ich wusste nicht recht, wie ich darauf reagieren sollte. Dies war das erste Mal, dass irgendjemand Interesse an meinem Privatleben zeigte.
    »Was meinst du? Das Formular?«
    Sara schnaubte. »Blödsinn. Ich rede von dem heißen Typen, mit dem du neulich hier warst. Seid ihr zusammen?«
    »Ja«, log ich, ohne zu zögern. Sie sollte nicht auf den Gedanken kommen, er könnte zu haben sein. Ihr würde ich nur sehr ungern einen Haken verpassen, so wie ich es gestern Abend bei Luke getan hatte.

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