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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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leid, aber ich kann nicht bleibenben«, wiederholte James. »Ich habe heute Abend einen Auftritt mit der Dudelsackband, den ich unmöglich absagen kann.«
    Moms Miene verdüsterte sich. »Deirdre. Ein Aufritt. Die Party bei den Warshaws. Die ist heute Abend.«
    »Ich dachte, am Sonntag.«
    »Heute
ist
Sonntag. Wie konnte ich das nur vergessen?« Zum ersten Mal, seit ich den Raum betreten hatte, sah sie besorgt aus. James hob hinter ihrem Rücken fragend eine Augenbraue, doch mir war klar, warum Mom so bestürzt war. Sie hatte das gesamte Leben ihrer Familie bis ins letzte Detail durchgeplant und in einem geistigen Ordner sortiert und abgeheftet. Wenn sie ein Detail wie dieses einfach vergaß, bedeutete das, dass Grannas Zustand sie ernsthaft aus der Bahn warf – und einzugestehen, dass sie erschüttert war, kam selbstverständlich nicht in Frage.
    »Wie kommst du jetzt nur dorthin? Delia ist gegangen, keine Ahnung, wohin. Dein Vater holt mich erst spät heute Abend nach der Arbeit ab, und ich habe kein Auto.«
    »Ich fahre sie«, unterbrach James ihren Wortschwall.
    »Nein. Du hast selbst einen Auftritt.«
    Ich schüttelte den Kopf. Allein die Vorstellung, zu einer Party zu gehen und mich zu übergeben, während Granna im Krankenhaus lag … »Mom, das ist doch nicht so wichtig. Ich sage den Warshaws einfach, dass ich nicht kommen kann. Dann spielen sie eben Musik auf der Stereoanlage oder so. Das ist doch nur eine blöde Party, und Granna liegt hier im Krankenhaus.«
    Sie hielt inne und starrte mich an. »Die Warshaws haben diesen Abend seit Monaten geplant. Du kannst nicht absagen. Und
daran
wird sich nichts ändern, nur weil du hier bist.« Sie deutete mit leicht zitterndem Finger auf Granna. »Wenn dein Vater nur nicht so lange arbeiten müsste …«
    Wieso hielt sie sich so krampfhaft an ihrem verdammtenTerminkalender fest?, fragte ich mich ärgerlich. »Wenn du mir endlich erlauben würdest, den Führerschein zu machen, könnte ich selber fahren. Aber was für eine absurde Idee, hm? Eine Sechzehnjährige mit Führerschein?«
    Mom schürzte die Lippen. »Sei nicht albern, Deirdre. Wir wissen beide, dass du noch nicht so weit bist.«
    James brauchte kein Hellseher zu sein, um zu merken, dass es gleich krachen würde. Er verdrückte sich in eine Ecke.
    »Das stimmt nicht«, widersprach ich. »Ich kann besser rückwärts einparken als du! Du willst nur mein Leben bis ins letzte Detail kontrollieren. Natürlich willst du nicht, dass ich allein fahre! Wie könntest du mich dann noch in jedem verdammten Augenblick überwachen?« Ich fürchtete, ich könnte zu weit gegangen sein, aber ich konnte mich nicht länger beherrschen. Warum ausgerechnet jetzt?
Halt den Mund, Dee, halt den Mund.
Aber ich hörte nicht auf meine eigene Warnung. »Ich habe es satt, alles so zu machen, wie du willst. Ich habe es satt, dass mir alles vorgeplant und vorgeschrieben wird.«
    Moms Miene wurde hart. »Wie kannst du nur so undankbar sein? Du solltest dich glücklich schätzen, dass du Eltern hast, die an deine Zukunft denken. Eben
weil
du mir so viel bedeutest, will ich dafür sorgen, dass du etwas aus deinem Leben machst.«
    »Weil
du
es nicht geschafft hast«, fauchte ich. »Weil Delia alles getan hat, das du tun wolltest.«
O Gott, habe ich das wirklich gesagt?
    Sie verzog keine Miene. »Müssen wir diese Unterhaltung ausgerechnet jetzt führen?«
    »Wir reden nie miteinander, Mom. Du fragst mich nie nach meiner Meinung oder danach, was ich empfinde. Du treibst mich nur die ganze Zeit an, und das ist
schwachsinnig
. Wir hätten diese Unterhaltung schon vor langer Zeit führen sollen.«
    »Und was willst du jetzt von mir hören? Delia hat mein Leben gestohlen? Delia bekommt immer alles? Du könntest alles erreichen, wovon ich geträumt habe – ich setze dich zu sehr unter Druck – ich bin eine ehrgeizige, tyrannische Mutter – so, bist du jetzt zufrieden?« Sie wandte sich ab und kramte in ihrer Handtasche. »Ich rufe Delia an. Vielleicht kommt sie ja zurück und fährt dich hin.«
    Ich zitterte immer noch, weil ich es gewagt hatte, ihr die Stirn zu bieten, und war schockiert über meinen Gefühlsausbruch. Ich fragte mich, was in mich gefahren war, dass ich an Grannas Krankenbett meine Mom anbrüllte. Ihre Finger verharrten über den Tasten – wahrscheinlich hatte sie ebenso viel Lust, ihre Schwester anzurufen, wie ich, neben Delia im Auto zu sitzen.
    »Nein. Ich rufe Luke an. Vielleicht kann er mich fahren.« Ich holte mein Handy

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