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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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sind eine Möglichkeit, jemanden in deinem Kopf festzuhalten. Die meisten Leute erinnern sich auch nicht gut an
mich

    »Ich schon. Und ich kann deinen Namen richtig aussprechen: Luke Dillon. Und
sie
können das auch. Zumindest konnte Brendan es.«
    »
Sie
sehen die Dinge anders. Du anscheinend auch. Welche Überraschung.« Er zog mit dem Zeigefinger meinen Mundwinkel etwas hoch, als erwarte er ein Lächeln von mir. »Iss.«
    Schweigend machten wir uns über die Sandwiches her. Als wir aufgegessen hatten, legte Luke mir einen Arm um die Schultern und zog mich an sich. Ich lehnte den Kopf an seine Brust, lauschte den Oldies aus den Lautsprechern, spürte das kühle Vinyl der Sitze im Rücken und dachte erneut, dass es im Sticky Pig zwar genauso aussah wie immer, dieser Abend aber keinem anderen Abend glich.
    Luke neigte den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte das immer mit dir haben.« Etwas an seinem Atem auf meiner Haut,seinen Fingern, die über meinen Nacken strichen, und der seltsam aufregenden Nacht ließ mein Herz schneller schlagen. Ich rutschte aus der Nische und nahm ihn bei der Hand. »Komm, lass uns gehen.«
    Ich wartete, während er die Rechnung bezahlte und Trinkgeld dazulegte. Dann zog ich ihn endlich aus dem Restaurant ins rötliche Licht auf dem Parkplatz. Ich hatte das Gefühl, mich unter dem bleichen Mond mit jedem Schritt in die Nacht hinein ein bisschen weiter zu häuten. Eine bedrückende, schwere Schicht nach der anderen schälte sich ab und enthüllte ein strahlendes, leichtes Geschöpf darunter. Ich war von einer Mauer umgeben, an der ich sechzehn Jahre lang gebaut hatte, und mit jedem pochenden Herzschlag bröckelten nun Stücke davon ab. Ehe er die Wagenschlüssel aus der Tasche ziehen konnte, küsste ich ihn. Es war ein verrückter, hemmungsloser Kuss, und ich schlang ihm beide Arme um den Nacken.
    Luke brauchte einen Moment, um sich von der Überraschung zu erholen. Dann schloss er mich in die Arme und erwiderte den Kuss. Seine Hände zerknautschten den Stoff meiner Bluse. Unsere Küsse hatten etwas Ehrliches, Ungestümes, wie ein ängstliches Keuchen im Angesicht des Verlusts, den wir uns in unseren bewussten Gedanken nicht eingestehen wollten oder konnten. Er presste mich an sich, hob mich hoch und setzte mich auf die Motorhaube, damit ich nicht mehr auf den Zehenspitzen balancieren musste. Ich schmeckte die Haut an seinem Hals, seinem Gesicht, seinen Lippen, bis ich keine Luft mehr bekam, schlang die Beine um ihn und küsste ihn wieder.
    Im Auto klingelte mein Handy, schwach, aber deutlich hörbar. Ich wollte nicht drangehen. Dieser Abend sollte nicht enden, denn ich wusste nicht, was uns morgen erwartete. Doch Luke ließ die Hände sinken und lehnte atemlos die Wange an meinen Hals. »Du musst drangehen, nicht?«
    Ich wollte nein sagen. Aber noch während ich überlegte, wie ich das rechtfertigen könnte, hob Luke mich von der Motorhaube und zog den Schlüsselbund aus der Hosentasche. Bis er das Handy vom Beifahrersitz geholt hatte, war es zwar verstummt, aber die Nummer meiner Eltern war noch unter
Entgangene Anrufe
angezeigt.
    Ich stand vor dem Auto und zitterte, obwohl es dafür keinen Grund gab, dann drückte ich auf die Taste und presste das Telefon ans Ohr. Luke trat hinter mich, verschränkte die Arme vor meiner Brust und schmiegte die Wange an meine, während ich dem Klingeln lauschte.
    »Deirdre? Wo bist du?« Moms Stimme hatte einen merkwürdigen Unterton, den ich nicht zuordnen konnte.
    »Im Sticky Pig. Wir …«
    »Du musst nach Hause kommen. Sofort.«
    Damit hatte ich nicht gerechnet. Vielleicht war ihr Keuschheitsradar angesprungen. »Wir haben gerade erst aufgegessen. Die Party …«
    »Deirdre, komm sofort nach Hause. Es ist wichtig.«
    Es klickte, und ich starrte einen Moment das Handy an, ehe ich Luke den Anruf schilderte. Abrupt ließ er mich los. »Okay. Steig ein.«
    Ich setzte mich auf den Beifahrersitz. »Ich will aber noch nicht nach Hause«, erklärte ich unglücklich.
    »Ich will dich auch noch nicht nach Hause bringen«, erwiderte Luke. »Aber es ist irgendetwas passiert. Wir müssen hin.«
    Wir legten die kurze Strecke in Rekordzeit zurück. Sämtliche Lichter im Haus brannten, und ich sah Silhouetten im Küchenfenster. Luke nahm fest meine Hand, und wir gingen hinein.
    Mom lief in der ockerfarbenen Küche rastlos auf und ab.Durch die Küchentür konnte ich Dad im Flur telefonieren sehen. Mom erstarrte, als sie die Tür hörte, und ihr Blick heftete sich an

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