LaNague 03 - Der Staatsfeind
selbst gestellt, zu Tode verängstigt und völlig hilflos.
Warum geht es mir so? fragte sie sich und schnaubte dann verächtlich. Warum ist die Welt so? Warum ist Vins Geld nichts wert?
Vin – wenn sie an ihn dachte, glaubte sie, das ernste Gesicht ihres Mannes und die besorgten Linien zu sehen, die sich tief in seine Züge eingegraben hatten. Sie hatte nie verstanden, warum er die ganze Zeit über so bedrückt gewesen war. Er hatte immer als eine Art Puffer zwischen ihr und der Realität gestanden, hatte die Schläge aufgefangen und sie eingesteckt und nur wenige Erschütterungen zu ihr durchgelassen. Und dann war er gegangen, und ihr Schutz war mit ihm verschwunden. Jetzt kannte sie aus eigener Erfahrung das erdrückende Gefühl der Ohnmacht, das ihn seelisch so schwer belastet hatte. Sie fühlte sich in einer Welt verloren, die sie nicht errichtet hatte. Oberflächlich sah sie genau aus wie immer, und doch hatte sich alles verändert. Weder sie noch die anderen auf der Straße besaßen Einfluß auf das, was mit ihnen geschah. Sie alle waren machtlos.
Aber sie waren auch nicht ganz frei von Schuld, überlegte sie. Niemand um sie herum gestaltete diese Welt, aber sie alle saßen teilnahmslos herum oder wandten den Kopf ab, während sie für sie gemacht wurde. Ganz am Anfang, bevor die Situation außer Kontrolle geriet, hätten sie noch etwas ändern können, aber jetzt war es zu spät. Salli hatte das unheimliche Gefühl, daß Riesenkräfte zurück in die Balance schwangen, nicht zu erschüttern durch das, was man ihnen in den Weg warf, um sie an einer Rückkehr zu hindern.
Aber sie würde es schon schaffen. Der Zorn würde ihr dabei helfen. Zorn auf das Imperium, das an allem schuld war. Zorn auf sich selbst und die Gesellschaft, daß sie so schlecht ausgerüstet dieser oder anderen Herausforderungen außerhalb der Sicherheit des Nestes entgegentreten mußte. Wie viele andere Frauen mochten sich wohl in einer ähnlichen Situation wie sie befinden? Wie viele mochten den Kampf verlieren?
Salli würde ihn jedenfalls nicht verlieren. Sie lernte schnell. Sie würde noch heute alles Geld ausgeben, das sie besaß, bevor es noch weiter an Wert verlor. Aber nicht auf einmal. Ein bißchen hier, ein bißchen dort, und zwischendurch würde sie in ihr Apartment zurückkehren, um ihre Käufe zu verstecken. Es wäre nicht gut, wenn jemand den Verdacht bekäme, sie würde Vorräte horten; damit würde sie sich die Diebe nur ins Haus einladen. Nein, sie würde kaufen, was sie bekommen konnte und was sich am längsten hielt und dann in ihrem Apartment bleiben, das sie nur verlassen würde, wenn sie zur Arbeit mußte oder etwas Dringendes zu erledigen hatte. Ja, Salli würde überleben und solange durchhalten, bis sich die Situation besserte und Vin zurückkehrte … irgendwie war sie sicher, das letzteres zu ersterem führen würde.
Und wenn sich die Situation wirklich bessern würde – und bei diesem Gedanken verzog sie den Mund zu einer schmalen Linie –, mußte etwas unternommen werden, daß so etwas nie wieder passierte.
Nie wieder! dachte sie.
Nie wieder durfte so etwas passieren!
Als der Rekorder auslief, erhob sich LaNague und streckte die Beine. »Das müßte eigentlich genügen.« Er sah auf Radmon Sayers, der schwieg, während er sich mit dem Videorekorder beschäftigte. Das Lagerhaus war leer bis auf die beiden Männer. »Was ist los, Rad?«
»Nichts weiter«, erwiderte Sayers, der das Band abnahm und es LaNague reichte. »Ich glaube nur nicht, daß es funktionieren wird.«
»Und warum nicht?« fuhr ihn LaNague an. »Sie müssen vor eine Wahl gestellt werden, und um diese Wahl treffen zu können, müssen sie wissen, welche Alternativen ihnen offenstehen.«
»Ich glaube, du solltest die Sache anders angehen. Du setzt zu viel auf diese Aufzeichnungen, und wenn ich ehrlich bin, mich beeindrucken sie nicht.«
LaNague verbiß sich eine scharfe Antwort. Es ärgerte ihn, daß er Sayers nicht überzeugen konnte. Nur mit Mühe behielt er einen ruhigen Ton bei. »Zweifelst du noch immer an mir? Ich mußte mir schon genug von dir und den übrigen anhören, bevor die Mark stürzte. Und dann war ich plötzlich ein ›brillanter Kopf‹, ein ›Genie‹. Wann werdet ihr endlich begreifen, daß ich das alles schon seit Jahren geplant und vorbereitet habe? Ich hatte viel mehr Zeit, mir alles genau zu überlegen, als du, Zack, Metep oder der Fünferrat. Ich bin ihnen weit voraus, und ich weiß, was ich tue.«
»Das
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