LaNague 03 - Der Staatsfeind
und letzte Vorlesung im neuen Semester ein viel größeres Publikum haben würde, als die Universitätsleiter oder alle anderen ahnen konnten.
»Ich muß sagen, ich bin nicht gerade überwältigt von der Zahl der Zuhörer heute morgen«, begann Doc Zack, der vor den Studenten im Hörsaal, wie üblich während des Sprechens, auf und ab ging. »Aber es wäre wohl zuviel gewesen, wenn ich gehofft hätte, hier vor einer dicht gedrängten Menge reden zu können. Ich weiß, daß die Preise den Lohnsteigerungen immer zwei Schritte voraus sind und daß viele von Ihnen ihren Studienplatz an dieser so berühmten Institution riskieren, weil sie sich entschlossen haben, heute hierherzukommen. Dafür möchte ich Ihnen danken und gleichzeitig Ihren Mut loben.«
Er ließ seinen Blick prüfend über die Anwesenden schweifen. »Ich sehe sowohl einige bekannte wie auch eine Reihe von neuen Gesichtern. Das freut mich.« Einer dieser neuen Zuhörer saß in der letzten Reihe. Dem Aussehen nach hätte er ebenfalls ein Student sein können, aber das rechteckige, schwarze Aufnahmegerät, dessen flache Oberfläche Zack ständig folgte, verriet, daß er etwas anderes sein mußte. Er saß hier im Auftrag von Sayers und zeichnete die Vorlesung auf. Zack holte tief Luft … Zeit, sich zu konzentrieren.
»Worüber ich heute sprechen möchte, sieht auf den ersten Blick vielleicht nicht aus, als gehöre es in den Bereich der Wirtschaftswissenschaften. Es betrifft die Regierung – unsere Regierung, das Imperium. Es ist eine echte Gruselgeschichte, schlimmer noch als die Geschichte von Frankenstein und seinem Monster, und handelt von einem von Menschenhand geschaffenen Wesen, das Amok durch das Land läuft und blindwütig alles zerstört, was es berührt. Aber diesmal ist es kein schreckliches, aus Leichenteilen zusammengesetztes Wesen, sondern ein Wesen, das gutaussehend und liebenswürdig ist und vorgibt, immer nur in unserem Sinne zu handeln und uns helfen zu wollen.
Seine größte Macht liegt in der Wirtschaft unseres Landes. Es druckt das Geld, kontrolliert seinen Umlauf, kontrolliert die Zinssätze, die für Geldanleihen gefordert werden, und kontrolliert sogar im Grunde den Wert des Geldes. Und diese Hand, die die Wirtschaft kontrolliert, kontrolliert auch Sie – jeden einzelnen von Ihnen. Denn Ihr Leben hängt ja von der Wirtschaft ab: Ihr Job, das Gehalt, das Sie für diesen Job bekommen, der Preis für Ihr Haus, die Kleider, die Sie tragen, das, was Sie essen. Man kann einen Menschen genauso wenig von der Wirtschaft trennen, in der sich sein Leben abspielt, wie von der Luft, die er zum Atmen braucht. Sie ist ein lebenswichtiger Bestandteil. Und wenn man das wirtschaftliche Umfeld eines Menschen kontrolliert, dann kontrolliert man gleichzeitig auch diesen Menschen.
Wir hier auf den Außenwelten leben in einer bis ins Detail kontrollierten Wirtschaft. Das an sich wäre schon schlimm genug. Was aber noch schlimmer ist, ist die Tatsache, daß die Hand, die diese Kontrolle ausübt, zu einem Schwachkopf gehört.«
Er schwieg, um seine Worte wirken zu lassen und sah, daß das Aufnahmegerät, das jeder seiner Bewegungen folgte, so gehalten wurde, daß, sollten zufällig einige der Studenten ins Blickfeld der Kamera geraten, nur ihre Hinterköpfe zu sehen sein würden.
»Betrachten wir doch einmal dieses gutaussehende, ostentativ wohlwollende, schwachköpfige Monster, das wir geschaffen haben, näher und sehen uns an, was es mit uns anstellt. Ich glaube, daß Sie schon sehr bald verstehen werden, warum ich dieser Vorlesung den Untertitel Unser Feind, der Staat, gegeben habe. Sehen wir uns doch einmal an, ob und wie es versucht, denjenigen unter uns, die von ihrem geringen Verdienst nicht leben können, zu helfen. Ich möchte hier nicht näher auf das Imperiale Programm zur Arbeitslosenunterstützung eingehen – Sie alle wissen wohl, was für ein schreckliches Durcheinander das ist. Und jeder von uns weiß etwas Negatives über die Dolee zu berichten. Nein … ich glaube, ich beginne am besten mit dem Programm, das von der Regierung wie auch von der Presse gleichermaßen in den höchsten Tönen gelobt worden ist: Das Programm zu den Lebensmittelmarken.
Wie es im Augenblick aussieht, bekommt ein Mann mit einer vierköpfigen Familie, der zwölftausend Mark im Jahr verdient, Lebensmittelmarken im Wert von tausend Mark, die ihm helfen sollen, seine Familie zu ernähren. Sie finden das in Ordnung? Sie haben nichts dagegen, daß ein Teil
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