Land aus Glas
passieren muß, ist das möglich? Es ist durchaus möglich, möglich, möglich, möglich …
Was dann wirklich passierte, schien in einem einzigen klaren Augenblick zu passieren.
Einer der Herren aus der Hauptstadt zog an einer Leine.
Elisabeth stieß einen gellenden Pfiff aus.
»Dis«, dachte Pekisch automatisch.
Der andere Herr aus der Hauptstadt zog abrupt an einem Hebel, der groß wie ein Kind war.
Elisabeths vier Räder blockierten.
Sie rutschten starr auf dem glühendheißen Schieneneisen und zerrissen die Luft mit einem endlosen, unmenschlichen Kreischen.
Sofort zersprangen in der nahegelegenen Glasfabrik zweihundertfünfzehn Kristallkelche, einundsechzig IOXIO-Gläser, die schon für die Firma Trupper fertiggestellt waren, acht Flaschen mit eingravierten Bibelmotiven, die die Gräfin Durtenham in Auftrag gegeben hatte, eine Brille, die dem alten Andersson gehörte, drei Kristalleuchter, die, weil mit Mängeln behaftet, vom Königshaus zurückgeschickt worden waren, sowie ein Kristalleuchter, der, weil mit Mängeln behaftet, von der Witwe Abegg gekauft worden war.
»Wir haben wohl was falsch gemacht«, sagte Mr. Rail.
»Offensichtlich«, sagte der alte Andersson.
»Dreißig Zentimeter«, sagte einer der Herren aus der Hauptstadt, als er aus der großen Lokomotive stieg.
»Ja, sogar noch weniger«, sagte der andere Herr aus der Hauptstadt mit einem Blick auf das Stückchen Schiene, das bis zum nackten Gras noch geblieben war.
Schweigen.
Dann alle Schreie der Welt, Beifallsstürme und Hüte in der Luft – und ein ganzes Städtchen, das herbeiläuft, um sich diese dreißig Zentimeter Eisen, ja, sogar noch weniger, anzusehen, um sie sich aus der Nähe anzusehen und dann zu sagen, es waren nur dreißig Zentimeter, ja, sogar noch weniger, so gut wie nichts. Wie nichts.
Am Abend brach wie jeden Abend der Abend an. Da ist nichts zu machen: Eine Geschichte ohne Wenn und Aber. Sie passiert, und damit basta. Es spielt keine Rolle, was für eine Sorte Tag da ausgelöscht wird. Vielleicht war es ja ein besonderer Tag, aber das ändert gar nichts. Der Abend kommt und löscht ihn aus. Amen. So brach auch an diesem Abend wie jeden Abend der Abend an. Mr. Rail saß auf der Veranda, schaukelte in seinem Schaukelstuhl und betrachtete Elisabeth, die unten auf der großen Wiese in Richtung Sonnenuntergang stand. So aus der Ferne und von oben wirkte sie klein, wie er sie noch nie gesehen hatte.
»Sie sieht verflucht einsam aus«, sagte Jun.
»Gefällt sie dir?«
»Sie ist komisch.«
»Wie – komisch?«
»Ich weiß nicht, ich habe sie mir länger vorgestellt … und komplizierter.«
»Eines Tages machen sie sie vielleicht länger und komplizierter.«
»Ich dachte, sie ist bunt.«
»Sie ist doch schön, so eisenfarben!«
»Wenn sie in der Sonne fährt, wird sie wie ein Spiegel glänzen, und man wird sie schon von weitem sehen können, nicht wahr?«
»Von sehr weit, ja, wie ein Taschenspiegel, der durch die Wiesen fortgleitet.«
»Und wir werden sie sehen?«
»Natürlich werden wir sie sehen.«
»Ich meine, wir werden nicht schon tot sein, wenn sie dann endlich losfährt?«
»Um Gottes willen, nein! Natürlich nicht! Erstens werden wir zwei niemals sterben, und zweitens werden diese Schienen, die im Augenblick – zugegeben – unverhältnismäßig kurz sind, egal was du auch sagen magst, schon bald sage und schreibe zweihundert Kilometer lang sein, und das vielleicht schon dieses Jahr, vielleicht werden diese Schienen schon zu Weihnachten …«
»Es war nur ein Scherz, Mr. Rail.«
»… sagen wir lieber in einem Jahr, in einem ganzen Jahr, höchstens in zwei, und ich versichere dir, daß ich einen Zug auf diese Schienen stellen werde, mit drei, vier Wagen, und er wird fahren und …«
»Ich habe gesagt, es war nur ein Scherz …«
»Nein, du machst keine Scherze, du glaubst, daß ich verrückt bin und daß ich das Geld, um diesen Zug fahren zu lassen, nie auftreiben werde, genau das glaubst du!«
»Ich glaube, daß du verrückt bist und daß du genau deshalb das Geld dafür auftreiben wirst.«
»Ich sage dir, dieser Zug wird fahren.«
»Ich weiß, er wird fahren.«
»Er wird fahren, und er wird mit hundert Sachen Kilometer um Kilometer fressen und dabei Dutzende Menschen hinter sich herziehen, und er wird sich einen Dreck um Hügel, Flüsse und Gebirge scheren, und ohne eine einzige Kurve wird er wie ein Schuß aus einer riesigen Pistole im Handumdrehen mit Glanz und Gloria geradewegs in
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