Land der guten Hoffnung
mich - selbst wenn ich einen Erfolg zu melden hatte - nicht an den alten Herrn wenden, ohne Gefahr zu laufen, dass er sofort mit Stamm Rücksprache nahm und dieser ihm seine Sicht der Dinge erklärte. Wenn er den Senior bislang immer wieder überzeugt hatte, würde es ihm auch in dieser kniffligen Situation gelingen. Wer war ich schon? Wie glaubhaft waren meine Argumente? Also musste ich eine andere Herangehensweise finden - eine völlig eigenständige. Ich musste mich in eine Position bringen, die Carsten überzeugte und ihn dazu bewegte, mein Honorar zu zahlen. Wie er danach mit Tochter, Enkelin und potenziellem Schwiegersohn umging, war seine Privatsache, die mich nichts anging.
Wo also konnte ich Bertrand innerhalb der Frist, die mir Stamm gesetzt hatte, finden? Ich kannte den Weg zu seiner Farm. Das half nicht viel. Es sah nicht so aus, als ob er dort häufiger und für längere Zeit residierte. Zudem würde mich seine Luftüberwachung schon bei der Anfahrt im Visier haben.
Der Held in Flamingofeder hatte stets sehr liebevoll von seinem Team, seinen Gefährten, erzählt, die ihm bei seiner schwierigen und gefährlichen Mission zur Seite standen. Oom Pieter, der alte Bure, Said, der Somali, und Tickie, der junge Tekwana. Ich für meinen Teil, operierte wie gehabt alleine. Aber vielleicht musste ich diesmal auch das ändern. Doc kam mir in den Sinn. Mein Problem war nicht in Konfrontation Mann gegen Mann zu lösen. Ich hatte es mit einem Filz aus privaten Interessen und am Gewinn orientierten Geschäftspartnerschaften zu tun. Stamm war - wie ich - im Grunde genommen nur geschäftlich involviert. Im Kern drehte sich alles um die Familie. Um den legitimen Teil, der aus dem alten Carsten, seiner Tochter Rena und deren Tochter Conny bestand. Obwohl das Mädchen schon Grenzgängerin und Bindeglied zum problematischen Teil war: ihrem Vater Marius Bertrand.
Auf diesen Familienverband musste ich mich bei der Lösung konzentrieren. Und je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, wo der Schlüssel lag.
Es ging um das Kind.
Ich hatte die Adresse, wusste, wo es war. Ein Save a Child Projekt für Doc. Ich konnte sie kontaktieren. Sie kümmerte sich um Conny. Ich konzentrierte mich auf Bertrand und Rena. Wenn ich Conny als Köder hatte, konnte ich wieder Bewegung in meine verfahrene Sache bringen.
Doch was gab mir das Recht, ein Kind als Köder zu missbrauchen und auch noch Doc mit in die Sache hineinzuziehen? Was sollte ich mir diesmal für ein Märchen ausdenken, um meine alte Freundin zur Komplizin zu machen?
So viel zum Abstand zu den Dingen!
Wollte ich ernsthaft unter die Kidnapper gehen und mich damit auf eine Stufe mit Leuten wie Timothy Butler und Marius Bertrand stellen?
Bevor mir eine ehrliche Antwort auf diese Frage einfiel, hörte ich ein leises Zirpen. Ich spitzte die Ohren und lauschte durchs Fenster in die Natur. Erst beim zweiten Rufzeichen, fiel mir mein gemietetes Handy ein. Wahrscheinlich Stamm mit einer Änderung des Plans. Ich meldete mich.
Es war ein Hilferuf von Rena.
Eine halbe Stunde später war ich zur Stelle.
Ihr Mietwagen stand im Schatten einer Baumgruppe am Straßenrand. Ich parkte hinter dem Heck und stieg aus. Es war noch angenehm kühl, und der Himmel fand erst allmählich zu einem tieferen Blau.
Rena hockte mit hängenden Schultern hinter dem Steuer. Wenn ich am Telefon richtig zugehört hatte, dann war ihr die Flucht aus dem goldenen Käfig zwar gelungen, aber kurz vor Franschhoek - wo sie mich zu finden gehofft hatte - war ihr das Benzin ausgegangen. Sie machte einen verwirrten Eindruck. Als habe Sie sich irgendwo unterwegs selbst verloren und sei völlig ahnungslos, wo sie die Suche wieder aufnehmen sollte.
Ich nahm auf dem Beifahrersitz Platz und musterte ihr müdes Gesicht. Die Ringe unter den Augen waren unübersehbar, die strubbeligen Haare glänzten fettig. Sie blieb apathisch sitzen, beide Hände fest ums Lenkrad geklammert. Kein Wunder, dass sie die Warnleuchte der Treibstoffanzeige zu spät bemerkt hatte. Die ganze Frau lief auf Reserve.
„Was ist passiert?“ fragte ich behutsam.
Wie auf Kommando ließ sie das Lenkrad los und umklammerte stattdessen mich. „Ich musste einfach da raus. Es war nicht auszuhalten mit ihm.“
„Woher kommen Sie?“
„Aus Knysna - fünfhundert Kilometer von hier am Indischen Ozean.“
Das lag im äußersten Osten der Westkap-Provinz, dem Terrain, auf das ich mich für Stamm eingestimmt hatte.
„Marius hat zwischen
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