Land der guten Hoffnung
anderes. Bevor ich Rena Carsten getroffen hatte, war ich mal ziemlich gut darin gewesen, mich nicht auf Dinge einzulassen, die mit meinem Job kollidierten. Aber im Stich gelassen hatte ich noch niemand.
Wir kamen gut voran.
Bereits nach zwei Stunden lagen Caledon und Swellendamm hinter uns. Die N2 zog sich in lang gezogenen Geraden und Schwüngen durch weite Ebenen und über sanfte Höhenzüge. Der Verkehr hielt sich in Grenzen, und es war mit keiner besonderen Anstrengung verbunden, den Wagen über den Highway zu steuern. Rena lag auf den Rücksitz und schlief. Der Tag war klar, und die Sonne brannte wie mit Laserstrahlen auf die Windschutzscheibe. Nur die Klimaanlage bewahrte uns davor, geröstet zu werden.
Eigentlich hatte ich um diese Zeit in Kapstadt sein wollen. Nun fuhr ich genau in die andere Richtung: zur Ostgrenze der Provinz Western Cape. Ich fühlte mich frisch und wach und genoss jede neue Variante, die mir die südafrikanische Landschaft in ihrer überbordenden Vielfalt bot. Und doch war ich im Kopf von einer eigentümlichen Apathie befallen, die jeden klaren Gedankenfluss bremste. Womöglich war Renas Zustand ansteckend. Oder ich war inzwischen resistent gegen tief schürfende Grübeleien, die mich kurzfristig nicht weiterbrachten. Wenn Distanz und Planung erst mal den Bach runter sind, gilt die banale Einsicht: Nicht was dir zustößt zählt, sondern wie du damit fertig wirst!
Ich hatte ein klares geografisches Ziel vor Augen. Und nachdem ich mich einmal darauf eingelassen hatte, es anzusteuern, musste ich nur noch Kurs halten, um es rechtzeitig zu erreichen - und mich gleich wieder auf den Rückweg begeben zu können. Und zwar alleine. Das Ganze war nichts weiter als ein kleiner Umweg, den ich für Rena absolvierte. Sie mochte der Typ Frau sein, dem man gerne ab und zu in die Arme sank, aber man musste ihr nicht unbedingt für länger in die Hände fallen. Wenn sie auf Teufel komm raus die weibliche Hauptrolle in einem Film mit dem Titel „Sucht und Erfüllung“ spielen wollte, war das ihr Problem. Die männliche Hauptrolle war schon seit langem vom einzig tauglichen Star besetzt: Marius Bertrand. Renas Welt war nicht meine Welt. Eine Einsicht, die so simpel wie die Erkenntnis war, dass ein Teil der Grünflächen auf unserer Erde aus Friedhöfen besteht.
Der Körperkontakt kam wie aus heiterem Himmel und traf mich wie ein kleiner Elektroschock.
„Rena - was soll das?“
Unter ihrer spontanen Umarmung verriss ich das Lenkrad und driftete ungewollt auf die rechte Spur. Da meilenweit kein anderes Fahrzeug unterwegs war, blieb der Schlenker ohne Folgen. Behutsam orientierte ich mich wieder zum linken Fahrbahnrand und warf einen Blick in den Innenspiegel. Rena saß direkt hinter mir, die Arme fest um mich geschlungen. Ihre Augen waren klar und wach, und sie lächelte aufgekratzt. Es schien ihr sehr viel besser zu gehen.
Sie drückte mich noch mal herzhaft, ließ mich frei und fragte: „Wo sind wir jetzt?“
„Vor einer Weile sind wir an Swellendamm vorbei, und bald müsste Heidelberg kommen.“
„Heidelberg.“ wiederholte sie versonnen. „Dann haben wir die Hälfte des Weges schon hinter uns.“ Sie baute sich mit den Armen eine Brücke zwischen den Rücklehnen der Vordersitze, legte das Kinn auf und schaute mit mir auf die Fahrbahn.
Dann kicherte sie.
„Was ist denn jetzt los?“
„Schau mal auf dein Armaturenbrett!“
Ich nahm das Gas leicht zurück und sah auf den Tacho. „Alles im legalen Bereich.“
„Nicht das Tempo - die Tankuhr!“
Rena hatte Recht. Die Nadel hing sehr tief, und die ReserveAnzeige flackerte rot auf.
„Muss dir aber nicht peinlich sein.“
Die Warnung übersehen zu haben, war kein gutes Zeichen. Ich schwieg mich aus.
„Gut, zu wissen, dass es spätestens in Heidelberg eine Tankstelle gibt, Helm.“
„Ich darf dich an den vollen Reservekanister im Kofferraum erinnern.“
„Oh, natürlich.“ Sie lachte. „Wie konnte ich das nur vergessen. Das macht eben den Unterschied zwischen uns aus.“
Nicht nur das!
„Ich habe meist gar keinen Kanister dabei“, stellte sie fröhlich fest. „Und wenn, dann ist er bestimmt leer. Ich wusste schon, warum ich dich als Fahrer angeheuert habe.“
Angeheuert! Auch unsere Wahrnehmung war nicht dieselbe. Welche Pillen nahm sie sonst noch? Hatte sie das Valium nur geschluckt, um mich als Fahrer anwerben zu können? Allmählich bereute ich, mich auf die Rolle des Chauffeurs eingelassen zu haben. Sie wandte sich
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