Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
wie die einer Fledermaus lagen seitlich an dem mit milchig weißen Hornplatten gepanzerten Leib.
All das war an sich schon furchterregend – noch grässlicher war allerdings das Haupt der Kreatur, das auf einem langen Hals saß und so groß war wie ein Fuhrwerk. Weiße Haut, unter der blaue Adern zu sehen waren, spannte sich über einer Schnauze mit Nüstern, die sich unentwegt blähten und Dampfwolken ausstießen, und diese gefroren sofort, um als glitzernder Schnee zu Boden zu fallen; davon also rührte der Firn, der die Felsen der Höhle überzog. Das riesige, halb offen stehende Maul der Kreatur ließ Reihen mörderischer Zähne erkennen, die an Eiszapfen erinnerten. Dazwischen zuckte eine gespaltene blaue Zunge. Die kürbisgroßen Augen der Bestie hingegen starrten in dunklem Rot und hatten keine Pupillen.
Alphart sog scharf die eisige Luft ein, sein Verstand wollte verzweifeln angesichts des schrecklichen Anblicks, und erneut ließ die Kreatur ein tiefes Knurren hören, das die Furcht des Jägers noch mehr schürte. Plötzlich pumpte sie den Brustkorb auf und warf das bleiche Haupt zurück – und unter schrecklichem Gebrüll stieß sie eisigen Atem aus ihrem Rachen, der durch eine Öffnung in der Höhlendecke aufstieg.
Alphart spürte, wie die Kälte um ihn herum zunahm. Doch auch vor Entsetzen zitterte er am ganzen Körper und war kaum noch in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.
Da wandte die Kreatur das Haupt und schaute ihn geradewegs an.
Der Wildfänger erstarrte – ihm war, als würde der Blick des Ungeheuers auch ihn in Eis verwandeln. Tödliche Kälte erfasste ihn, und er begann laut zu schreien.
Da wurde er erneut von jenem unwiderstehlichen Sog gepackt, der ihn an diesen Ort gebracht hatte: Mit atemberaubender Geschwindigkeit ging es zurück durch das Labyrinth des Eises, zurück durch den klafterdicken Fels und den Lichtsee, in den er zuvor gestürzt war. Und noch ehe sich der Wildfänger klar darüber werden konnte, ob all dies ein Traum war oder die Wirklichkeit, schlug er die Augen auf und fand er sich in der Höhle des Zwergenkönigs wieder.
Noch immer stand er am Ufer des unterirdischen Sees, und zu seiner Verblüffung stellte er fest, dass er sich offenbar keinen Schritt fortbewegt hatte. Dabei war er sicher gewesen, ein unterirdisches Reich zu durchwandern…
»Nun?«, erkundigte sich Yvolar, der ihn erwartungsvoll anblickte. »Hast du etwas gesehen?«
»A-allerdings…«
»Und? Willst du uns nichts davon erzählen?«, fragte Alwys. Das hintersinnige Lächeln des Zwergenkönigs ließ erkennen, dass er die Antwort bereits kannte.
»Es… es war ein Tier, ein Monstrum, eine riesige Kreatur«, stammelte Alphart. Als Wildfänger, der die Einsamkeit seine Heimat nannte, war er kein Freund großer Worte, und entsprechend schwer fiel es ihm zu beschreiben, was er gesehen hatte.
»Du bist in der Höhle gewesen«, sagte Yvolar.
Alphart nickte.
»Was du gesehen hast, Wildfänger, war ein Dragan Daic«, erklärte Alwys, der Zwergenkönig.
»Ein – was?«
»Ein Eisdrache«, übersetzte der Druide die Worte der alten Sprache. »Und zwar der letzte, der noch am Leben ist.«
»Ein… Eisdrache? Aber ich dachte…«
»… dass es sie nur in alten Mythen gäbe?« Yvolar lachte. »Ich wünschte, es wäre so, mein Freund. Denn dann wäre vieles anders und bei weitem nicht so schlimm.«
»Du sprichst in Rätseln, alter Mann«, sagte Alphart. »Ich verstehe nicht…«
»Dann will ich es dir erklären«, sagte Yvolar. »In alter Zeit waren die Drachen zahlreich und mächtig, aber auch ebenso eitel und töricht. Auf Gold und Edelsteine hatten sie es abgesehen, deshalb befanden sie sich in ständigem Streit mit den Zwergen. Muortis erkannte ihre Gier, und so waren sie für ihn leichte Opfer.«
»Indem er den Drachen reiche Beute versprach«, führte der Zwergenkönig für Yvolar weiter aus, »brachte er viele von ihnen dazu, seinem dunklen Banner zu folgen. Zu spät bemerkten sie, dass Muortis sie betrogen hatte. Mit wertlosem Glas und faulem Zauber hatte er sie geblendet, und in ihrem Zorn verwandelten sie sich in Kreaturen des Eises, die Kälte anstatt Feuer speien. So waren die Dragan Daic geboren.«
»Und Muortis hatte erreicht, was er wollte«, erklärte Yvolar. »Er bediente sich ihrer, um die Welt mit Kälte und Eis zu überziehen, und wollte so alles Leben auf dieser Welt auslöschen. Hätten sich ihm die Söhne Vanis’ nicht entgegengestellt, hätte er triumphiert. So jedoch
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