Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
blicken?«
»Allerdings.«
»Und? Was hast du darin gesehen?«
Yvolar seufzte. Er blieb stehen und bedachte den Wildfänger mit einem undeutbaren Blick. »Ich sehe schon, du bist an den Wundern Glondwaracs nicht interessiert. Am besten wird es sein, wenn du es dir selbst anschaust.«
Bevor Alphart etwas erwidern konnte, schritt der Druide in einen Seitengang. Dort trafen sie auf weitere Zwerge. Einige von ihnen rauchten Pfeife und unterhielten sich, andere hatten Steinmetzwerkzeug dabei und schienen sich auf dem Weg zur Arbeit zu befinden, und wieder andere zogen zweirädrige Karren mit Waren hinter sich her. Alphart erblickte auch ein paar Zwergenfrauen. Sie sahen nicht viel anders aus die die Männer, nur trugen sie keine Bärte. Dafür hatten sie ihr meist blondes Haar zu dicken, kurzen Zöpfen geflochten, die fast waagrecht von ihren Köpfen abstanden. Auch auf Zwergenkinder trafen sie. Sie spielten Fangen und rannten ausgelassen umher – bis sie den Druiden und den Wildfänger erblickten und kreischend davonliefen.
»Sei ihnen nicht böse, Alphart«, sagte Yvolar. »Es kommt nicht oft vor, dass ein Mensch diesen Ort betritt. Für gewöhnliche Sterbliche wird das Zwergenreich nur alle sieben Jahre sichtbar, und nur jenen, die reinen Herzens sind, gewährt man Einlass.«
»Also stimmen die Geschichten, die man erzählt?«
»Zum Teil.«
»Stimmt es auch, dass kein Mensch, der die Zwergenstadt betrat, sie jemals wieder verlassen hat?«
»Das liegt im Auge des Betrachters«, antwortete Yvolar ausweichend. »Es würde zu weit führen, es dir jetzt zu erklären…«
Der Korridor, durch den sie schritten, führte sie in ein Gewölbe, das größer und prunkvoller war als alles, was Alphart je gesehen hatte – selbst die Große Halle von Iónador nahm sich dagegen karg und ärmlich aus.
Unter einer weiten Kuppel aus Felsgestein erstreckte sich ein Saal, dessen blank polierter Boden in schillernden Farben glänzte. Ringsum befanden sich hohe Fenster, deren Glas das einfallende Sonnenlicht in allen nur denkbaren Blautönen färbte. Ringsum waren Balkone und Balustraden in den Fels gehauen, und in der Mitte des Saals stand ein steinerner Thron.
Von der hohen Decke, die aus nacktem Fels bestand, hingen riesige Kristalle, zwischen denen prächtige Edelsteine funkelten.
»Nun?«, fragte Yvolar. »Bist du beeindruckt?«
»Es geht«, erwiderte Alphart, obwohl er in Wahrheit nie etwas Prächtigeres gesehen hatte.
»Die Zwerge nennen es den ›Hort der Kristalle‹. Hier pflegt der König Hof zu halten und sein Volk zu versammeln. Dies kommt bei den Zwergen nur höchst selten vor, aber schon in Kürze wird es wieder so weit sein – und wie du dir vielleicht denken kannst, sind wir der Anlass dafür.«
»Wir? Aber…«
Yvolar ging weiter, ohne zu antworten, und Alphart folgte ihm. Durch einen der zahlreichen Gänge, die in den Kristallhort mündeten, gelangten sie zu einer steilen Treppe. Sie führte durch glitzernden Fels in die von Fackelschein beleuchtete Tiefe. Ohne Zögern stieg Yvolar hinab.
Der Weg nach unten schien Alphart eine Ewigkeit zu dauern, und es wurde auch immer kälter. Endlich ereichten der Druide und der Wildfänger den Fuß der Treppe. Dort trafen sie auf Zwergenkrieger, die, auf ihre reich verzierten Äxte gestützt, vor einer steinernen Pforte Wache hielten. Die Axt, so hatte Alphart gehört, war die bevorzugte Waffe der Zwerge.
Die Zwergenkrieger schienen Yvolar zu kennen. Respektvoll traten sie beiseite, machten allerdings keine Anstalten, die Pforte zu öffnen. Alphart hatte einmal gehört, dass nur derjenige Zutritt zum Reich des Zwergenkönigs hätte, der die rechten Worte wusste.
Schon im nächsten Moment begann Yvolar mit leiser Stimme zu singen:
Alwys ist sein Name, König des Zwergenreichs,
Erbe der Spiegel und Hüter der Schätze.
Wer Wissen sucht, mag Alwys suchen,
vielleicht wird er Erleuchtung finden.
Wer aber trachtet nach Reichtum und Schatz,
der findet am Ende nur sich selbst.
Ob es der Klang dieser Worte war oder ihre Bedeutung – kaum war die Stimme des Druiden verklungen, öffnete sich die Pforte knirschend und wie von Zauberhand. Bläuliches, unirdisches Licht drang daraus hervor und blendete Alphart.
Die von der Natur geschärften Sinne des Wildfängers sträubten sich, und seine Abneigung gegen alles Übernatürliche stellte sich wieder ein. Er überwand sie jedoch, um Yvolar in das rätselhafte Licht zu folgen, das einen Augenblick lang so grell
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