Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
Flamme war bis in die letzten Winkel des Dunkelwalds gedrungen, und von überallher waren die Krieger der verschiedenen Stämme zusammengeströmt, um sich zum größten Heer des Waldvolks seit dem letzten Krieg zu vereinen. Nach Stämmen geordnet hatten sie den Dunkelwald nördlich des Rieds verlassen, hatten die Überreste des alten Grenzwalls überwunden und waren nach Südwesten marschiert, den Furten des Allair entgegen.
Es war keine geordnete Kolonne, auf die Galfyn von seinem hohen Posten aus blickte, kein Heer, das im Gleichschritt marschierte, wie die Soldaten Iónadors es taten, sondern eine Zusammenrottung kriegerischer Horden, deren Kampfkraft den Feind jedoch das Fürchten lehren würde. Über das Heulen des Windes hinweg konnte Galfyn den Schlag der Kriegstrommeln hören und den dumpfen Klang der Hörner. Er sah Waffen im fahlen Tageslicht blitzen und die blaue Farbe in den Gesichtern der zum Äußersten entschlossenen Kämpfer.
Vierhundert Bogenschützen hatten allein die Schlangenkrieger aufgeboten, die Angehörigen des Wolfsclans weitere zweihundert. Hinzu kamen über dreihundert Speerwerfer des Eberstamms, die unter dem Banner Eriaks marschierten, und mehr als zwölfhundert Mann Fußvolk, die sich zusammensetzten aus Galfyns Falkenkriegern, aus den Kämpfern des Fuchsclans, den mit Äxten bewehrten Kriegern des Biberstamms und den Schwertkämpfern des Hirschclans, die schon von weitem an ihren Geweihhelmen zu erkennen waren. Und mehr als zweihundert Bärenkrieger würden mit ihrer rohen Kraft das gegnerische Heer zusätzlich in Angst und Schrecken versetzen.
Schon waren sie weit ins Feindesland vorgedrungen, ohne auf Widerstand gestoßen zu sein. Die Gehöfte entlang der Grenze waren entweder verlassen oder nur von Alten, Frauen und Kindern bewohnt, denn die Männer waren von Iónador zum Waffendienst verpflichtet worden und hatten ihre Familien verlassen.
In seinem Schmerz hatte Galfyn sie zunächst alle töten lassen wollen, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Herras jedoch hatte ihm klar gemacht, dass er dann nicht besser wäre als jene, die er zu bestrafen gedachte. Also hatte er sich damit begnügt, ihre Ställe und Vorratskammern zu plündern und ihnen die Dächer über den Köpfen anzuzünden. Angesichts des bitteren Winters, der bevorstand, hatten sie so zwar nur eine geringe Chance, am Leben zu bleiben, aber es war ungleich mehr, als man den Alten und Frauen des Falkenclans zugestanden hatte…
Dunkle Rauchsäulen waren nordöstlich im Schneegestöber auszumachen. Sie markierten den Weg, den die Streitmacht des Waldvolks genommen hatte, und Galfyn war sicher, dass man sie bis weit nach Süden sehen konnte. Dass die Herren der Goldenen Stadt dadurch gewarnt wurden, machte ihm nichts aus. Im Gegenteil, er begrüßte es sogar. Sollten der Fürstregent und seine feige Brut ruhig wissen, dass sie kamen – und vor ihnen zittern.
Galfyn brannte darauf, sich zu rächen und den Iónadorern heimzuzahlen, was sie seinem Stamm und seiner Familie angetan hatten – und vielleicht würde ihm gelingen, was seinen Vorfahren versagt gewesen war, nämlich die Fürsten der Goldenen Stadt in die Knie zu zwingen und ihre Vorherrschaft zu brechen. Anders als seine Ahnen würde Galfyn die Entscheidung jedoch nicht im Süden suchen. Er würde nicht den Fehler begehen, Iónador direkt anzugreifen, denn an den trutzigen Mauern waren die Krieger des Waldvolks schon einmal gescheitert. Sein Plan sah vor, den Feind zu den Furten des Allair zu locken, um sich ihm dort zum Kampf zu stellen…
Während die übrigen Häuptlinge diesem Vorhaben begeistert zugestimmt hatten, hatte ein anderer kein Hehl daraus gemacht, dass er weder den Schlachtplan noch den Feldzug selbst befürwortete.
Herras.
Ausgerechnet Galfyns in all den Jahren getreuer Schwertmeister hatte schwerwiegende Bedenken den Ausgang der Schlacht betreffend, und auch in diesem Moment schien ihm nicht zu behagen, was er sah. Zusammen mit Galfyn stand er auf der schmalen Plattform und ließ immer wieder ein mürrisches Knurren vernehmen.
»Bist du noch immer nicht überzeugt?«, fragte Galfyn, den die Vorsicht seines Beraters wütend machte. »Sieh dir diese Streitmacht an, Herras! Nie hat es seit den Tagen Fynrads ein größeres Heer gegeben.«
»Das ist wahr«, gab der alte Krieger zu, »und niemals stand seit den Tagen Fynrads mehr auf dem Spiel.«
»Dafür kann ich nichts«, stellte Galfyn klar. »Ich war es nicht, der das Waldvolk
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