Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
sein, wenn er den Himmel nicht sieht?«
»Er braucht den Himmel nicht zu sehen«, erklärte der Druide. »Das Metall weiß auch so, wo Norden ist. Überzeuge dich selbst.«
Er hielt Alphart den kleinen Gegenstand hin. Der drehte den Pfeil mit der Spitze seines ausgestreckten rechten Zeigefingers in eine andere Richtung, aber sofort pendelte er wieder zurück und zeigte wie zuvor nach vorn.
»Hurra!«, rief Leffel, dass es dumpf durch den Nebel hallte. »Unser Druide kann durch den Nebel sehen!«
»Zauberei, nichts weiter!« Alphart verzog geringschätzig das Gesicht. »Der Pfeil zeigt wahrscheinlich einfach nur nach vorn, in die Richtung, in der das Boot gerade fährt.« Er schaute den Druiden an und nickte grimmig. »Jawohl, so wird es sein. Du kannst mich nicht foppen, alter Stocker.« Damit war die Sache für ihn erledigt.
Yvolar beachtete ihn gar nicht mehr. Am Heck des Nachens sitzend steuerte er das Gefährt durch das ruhige Wasser, und von gleichmäßigen Ruderschlägen getrieben glitt das Boot eine Weile lang sicher dahin – bis Leffel in der Ferne ein Gurgeln vernahm.
»Was war das?«, fragte der Gilg erschrocken.
»Wahrscheinlich dein Darm«, spottete Alphart. »Du hast gestern zu viele Zwiebeln gefressen.«
Leffel widersprach nicht, aber schon einen Augenblick später war das Gurgeln erneut zu hören, lauter diesmal.
Und näher…
»Das war nicht Leffels Magen«, erkannte Yvolar. Er erhob sich und griff nach seinem Stab. Mit einer energischen Handbewegung gebot er den Fischern, mit dem Rudern aufzuhören. Noch ein leises Plätschern, dann wurde es völlig still im Boot. Reglos lauschte der Druide hinaus in den Nebel.
Zunächst war nichts zu hören.
Dann wieder ein Gurgeln, das tief und irgendwie drohend klang.
»Wa-was ist das?«, flüsterte Leffel.
»Still!«, zischte Yvolar, während sich seine Hände fester um den Eschenstab schlossen.
Nun lauschten alle angestrengt, auch Alphart, der vorsorglich zu Pfeil und Bogen gegriffen hatte. Die Augen des Wildfängers hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt, während er hinaus in den Nebel starrte. Seine geschulten Sinne witterten Gefahr…
Das Gurgeln wiederholte sich, aber diesmal auf der anderen Seite des Nachens, gefolgt von einem lauten Platschen. Dann ein Rauschen, als ob sich etwas im Wasser bewegte.
»Was immer es ist, es ist schnell«, stellte Alphart fest, der herumgewirbelt war, jedoch nichts gesehen hatte. »Und es umkreist uns…«
Von den Fischern sprach keiner ein Wort. Ängstlich schauten sie einander an, und ihre Lippen formten lautlos Gebete. Yvolar fragte sich, ob sie ahnten, was dort draußen war und sie belauerte. Sicher hatte es Gerüchte gegeben in Seestadt…
Plötzlich erhob sich aus der Tiefe ein schreckliches Rumoren, und jenseits der dichten Nebelwand war ein heiseres Schnauben zu hören.
»Was ist das?«, fragte nun einer der Fischer sorgenvoll.
Die Antwort darauf brach im nächsten Moment durch die Wasseroberfläche.
Die Fluten teilten sich, und etwas ungeheuer Großes stach aus der Tiefe hervor, um direkt neben dem Nachen zu beängstigender Größe emporzuwachsen.
Leffel und die Fischer schrien entsetzt, während Alphart und Yvolar nur staunend die Augen aufrissen.
Die Kreatur war riesig. Ledrige, glänzend graue Haut umgab ihren Hals, der dick war wie ein Turm. Darauf thronte ein Haupt, das grässlicher war als alles, was der Wildfänger je gesehen hatte, scheußlicher selbst als die Schweinsgesichter der Erle. Zwei riesige Fischaugen glotzten auf die Insassen des Bootes, und aus einem wulstigen, von dolchartigen Zähnen gesäumten Maul drang betäubender Gestank. Die Kiemenöffnungen am Hals der Kreatur öffneten und schlossen sich stoßweise.
»Das Ungeheuer aus meinem Traum!«, rief Leffel Gilg entsetzt, aber niemand hörte ihn.
So schnell, wie das Monstrum aus der Tiefe aufgetaucht war, tauchte es auch wieder darin ein. Gischtend und schäumend schlossen sich die Fluten über dem Schädel des Monstrums, doch im nächsten Moment war ein walzenförmiger, mit länglichen Flossen versehener Körper zu sehen, der sich aus dem Wasser hob und sogleich wieder darin verschwand.
Ein Augenblick stillen Entsetzens folgte.
Dann die schreckliche Erkenntnis…
»Das Biest ist unter uns!«, schrie Alphart. »Es greift uns an!«
Schon teilte sich auf der anderen Seite des Bootes das Wasser, und das grässliche, fuhrwagengroße Haupt der Kreatur brach erneut aus dem Wasser hervor. Diesmal war das Maul weit
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