Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
aufgerissen, und es schoss heran, um den Nachen zu verschlingen.
Alphart ließ den Pfeil von der Sehne schnellen. Er flog geradewegs in den offenen Schlund der Bestie, ohne dass sie darauf reagierte.
Die Fischer aus Seestadt griffen beherzt zu den Harpunen, die im Boot lagen, und schleuderten sie. Die zwei hölzernen Wurfgeschosse mit Spitzen aus Fischknochen durchstießen die Lederhaut des Ungeheuers am Hals und blieben dort stecken.
Die Kreatur warf sich herum und tauchte erneut unter, wühlte dabei das Wasser auf, dass der Nachen fast kenterte. Steil stellte sich das Boot auf, dann schlug eine hohe Welle darüber. Die Fischer und Leffel Gilg wurden wild durcheinandergeworfen, nur Alphart und Yvolar gelang es, aufrecht sitzen zu bleiben. Der Wildfänger hatte drei Pfeile gleichzeitig auf der Sehne, während der Druide seinen Eschenstab erhob und nur darauf zu warten schien, dass die Kreatur wieder angriff.
Es dauerte nicht lange. Erneut tauchte etwas aus der Tiefe empor – diesmal jedoch war es nicht der Kopf, sondern der Schweif der Bestie, der dick war wie der Rumpf eines Ochsen und wie eine Peitsche über das Wasser zuckte.
»Vorsicht, Druide!«, rief Alphart, als er den Schweif des Untiers heranrasen sah. Im buchstäblich letzten Augenblick duckte sich Yvolar.
Der wütende Hieb verfehlte den Druiden, und Yvolar sandte dem Wildfänger einen dankbaren Blick. Schon im nächsten Moment jedoch stiegen Kopf und Hals der Kreatur unmittelbar vor dem Bug aus dem Wasser.
Alphart fahr herum und ließ das Dreigeschoss von der Sehne schnellen, geradewegs in eines der glotzenden Fischaugen. Die Pfeile trafen, und das Auge des Untiers zerplatzte. Gallertartiger Schleim, vermischt mit Blut, spritzte, und ein grässlicher Laut entrang sich dem Maul der Bestie. Blindlings ließ sie sich fallen, um den Nachen mit dem klobigen Haupt zu zerschmettern.
Nur knapp verfehlte sie das Boot. Dann warf sich die Kreatur herum, um einen erneuten Angriff zu führen – als Yvolar endlich handelte!
Der Druide rief etwas in jener uralten Sprache, die einst mit den Sylfen gekommen war und die kaum noch jemand in Allagáin beherrschte. Daraufhin stach ein gleißender Lichtstrahl aus dem Ende seines Stabs und traf die Kreatur in die fliehende Stirn.
Erneut drang ein schrecklicher Laut aus dem Schlund der Bestie. Ihre Kiemen blähten sich, ihr Fischmaul schnappte auf und zu. Es roch nach verbranntem Fleisch (oder nach gegrilltem Fisch, wie Leffel fand), und die Kreatur sank gurgelnd in den See zurück. Dort, wo sich die Fluten über ihr schlossen, schlug das Wasser Blasen, als würde es kochen.
Es war vorbei. Stille kehrte ein. Niemand wagte ein Wort zu sagen. Schweigend kauerten die Gefährten in ihrem Boot und starrten hinaus in den Nebel.
»I-ist es fort?«, flüsterte Leffel schließlich.
»Wollen wir es hoffen, mein Freund«, sagte Yvolar. »Die Bestien der Tiefe sind beinahe so alt wie die Welt. Ihre Gefräßigkeit ist nahezu unersättlich und…«
Wie um die Worte des Druiden zu bestätigen, schlug plötzlich etwas gegen den Boden des Nachens.
»Sieh an, Zauberer«, knurrte Alphart und zog einen weiteren Pfeil aus seinem Köcher. »Dein schuppiger Freund scheint noch nicht genug zu haben.«
Wieder ein Stoß gegen die Unterseite des Boots, so stark, dass er den Nachen ins Wanken brachte.
Diesmal verloren auch Alphart und Yvolar das Gleichgewicht. Der Eschenstab entrang sich dem Griff des Druiden, und noch während Yvolar stürzte, griff die Bestie aus dem See wieder an, und ein neuerlicher Stoß aus der Tiefe katapultierte das Boot in die Höhe. Die Fischer schrien vor Entsetzen, und Alphart, der im Boot lag, schoss einen weiteren Pfeil auf das Monstrum ab. Aber es half nichts: Vom breiten Rücken des Untiers wurde der Nachen emporgehoben, um sodann durch die Luft geschleudert zu werden.
Das Boot überschlug sich und leerte seine Insassen samt deren Gepäck in den See. Kopfüber stürzten die Gefährten in die Fluten, waren Augenblicke lang von dunkler Kälte umgeben, ehe sie es schafften, zurück zur Oberfläche zu strampeln, sie zu durchstoßen und nach Luft zu schnappen – und zu sehen, wie der Schweif der Bestie mit vernichtender Wucht niederging und das kieloben treibende Boot zerschmetterte. Einer der Fischer, der sich schreiend daran klammerte, wurde erschlagen.
»Hilfe! Ich ertrinke!«, rief Leffel und schlug hilflos mit den kurzen Armen um sich. Wasser war herkömmlich nicht das Element der Unterländer. Sie
Weitere Kostenlose Bücher