Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
Macht Ventars in die Waagschale geworfen hatten, standen die Menschen diesmal allein. Damals hatte ihre noch junge und unerfahrene Rasse nicht einmal richtig mitbekommen, was geschehen war – diesmal waren sie es, die die Hauptlast des Krieges zu tragen hatten.
Muortis hatte den Zeitpunkt seiner Rückkehr gut gewählt: Das Zeitalter der Mythen ging zu Ende, und eine neue Ära dämmerte herauf, in der die Wesen der Anderswelt verschwinden und Wissenschaft und Technik das Leben der Menschen bestimmen würden. Am Vorabend dieser neuen Zeit jedoch hatten sich die alten Mächte noch einmal zurückgemeldet, schrecklicher und vernichtender als je zuvor, und es würde sich entscheiden, wer das Angesicht der Welt in Zukunft prägen würde: die schwachen Menschen mit ihrer Fähigkeit zum Guten und ihrem Streben nach Gerechtigkeit – oder die Mächte des Chaos und der Zerstörung, die Muortis dienten. Und wie schon einmal waren die Berge der Schauplatz dieses letzten Kampfes – jener Ort der Welt, wo Erde und Fels, Wasser und Luft, Feuer und Eis zusammentrafen.
Beklommen musste der Druide an Fyrhacks Worte denken und daran, dass sie ihren eigenen Untergang nur beschleunigten, wenn sie den Menschen halfen. Das ließ sich nicht leugnen, denn in der neuen, vernunftbestimmten Welt würde kein Platz mehr für wundersame Wesen sein, wie sie es waren. Dennoch hatte die Entscheidung nicht anders ausfallen können – nicht, wenn man die Gesetze der Natur und des Schöpfers respektierte, denen auch sie unterworfen waren. Sich selbst zum Maßstab aller Dinge zu erheben war es, was Muortis von den übrigen Wesen der Anderswelt unterschied. Deshalb hatten sie ihn vor undenklich langer Zeit aus ihrem Kreis ausgestoßen, und deshalb gab es keine andere Möglichkeit als den Kampf bis zum Tod.
Immer deutlicher konnte Yvolar die Präsenz des Nebelherrn spüren – und mit ihr auch seine eigene Furcht. Ja, er verspürte Angst. Nicht sosehr um sein eigenes Leben als vielmehr um das Schicksal der Welt. Denn der Druide wusste, zu was der Nebelherr in der Lage war, und alles in ihm sträubte sich dagegen, die Welt ein zweites Mal in eisiger Kälte versinken zu sehen. Also würde er kämpfen.
Allein…
Er gestand es sich nicht gern ein, aber die Gesellschaft seiner sterblichen Freunde fehlte ihm. Er hatte sich daran gewöhnt, dass Alphart allem und jedem gegenüber misstrauisch war, dass Leffel unentwegt Fragen stellte und der kleine Kobling Mux fröhlich vor sich hin reimte. Und wie sie hatte auch er sich im Lauf der langen Reise und der dramatischen Ereignisse, die hinter ihnen lagen, verändert. Nicht länger war er der einsame Prophet vom Berge Nor. Dass er eine derart lange Zeitspanne seines Lebens allein verbracht hatte, war ihm mittlerweile unverständlich. Er hatte jene Jahre, die er in der Einsamkeit Damasias verbracht hatte, der Ruhe und der Kontemplation gewidmet, dem Studium alter Schriften. Inzwischen fragte er sich, ob die Gegenwart treuer Freunde ihn nicht besser als jede Gelehrtenschrift auf das hätte vorbereiten können, was vor ihm lag…
Leises Grauen erfüllte den Druiden. Er hatte schon einmal in den gähnenden Abgrund geblickt und verspürte kein Verlangen danach, es ein zweites Mal zu tun. Nur hatte er keine Wahl. Den Druidenstab in den Händen, dessen schwaches Leuchten die Dunkelheit kaum zu vertreiben vermochte, schritt Yvolar weiter voran – und hörte plötzlich eine Stimme.
»Komm!«, sagte sie und klang so klirrend wie das Eis selbst. »Komm zu mir…«
45
Einen Keil bildend, an dessen Spitze Barand von Falkenstein ritt, jagten die Lanzenreiter die Hauptstraße hinab. Sowohl Barand als auch Galfyn, die durch den geschlossenen Blutsbund wie ein Mann zu denken und zu handeln schienen, achteten darauf, dass die Verbindung zum Hauptheer nicht abriss, und das nachrückende Fußvolk setzte unter wüstem Kriegsgeschrei in die Bresche, die die Reiter in die Reihen der Erle schlugen.
Wie ein Sturmwind kehrten die Ritter Iónadors in die Goldene Stadt zurück und brandeten über die Unholde hinweg, ließen Berge erschlagener Erle zu beiden Seiten der Straße zurück. Eine mit Widerhaken versehene Speerspitze zuckte auf Barand zu, die der Marschall jedoch mit dem Schild abwehrte. Wirkungslos glitt die mörderische Waffe ab, und Barands Schwert fuhr herab und spaltete dem Urheber des Angriffs den Schädel. Blutüberströmt sank der Erl nieder, kippte seinen Kumpanen entgegen, die in immer größerer
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