Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
aus dem Rucksack und reichte ihn Erwyn. »Das wird dich wärmen…«
»Nein, bitte nicht«, wehrte Erwyn ab. »Ich bin seiner nicht würdig…«
Alphart schüttelte den Kopf. »Dass du nach all der Zeit in Kälte und Gefangenschaft noch immer so geschwollen daherreden kannst!« Dann legte er dem Jungen den Mantel kurzerhand um die schmalen Schultern und schloss die Fibel über seiner Brust. »Hier«, brummte er, »und hör gefälligst auf, dich zu beschweren, sonst überlege ich es mir anders und werfe dich wieder ins Loch, verstanden?«
Wortlos nahm Erwyn die Zwergenklinge entgegen, die Alphart ihm ebenfalls zurückgab. Die hölzerne Pfeife, die der Jäger ihm grinsend zusteckte, entlockte ihm den Anflug eines Lächelns, das allerdings schon im nächsten Augenblick wieder verschwunden war. Sogar Alphart, der nicht eben feinfühlig war, konnte erkennen, dass etwas den Jungen schwer belastete. Was immer es jedoch war, es würde warten müssen, bis sie die Kavernen Urgulroths hinter sich gelassen hatten…
»Komm jetzt«, drängte er, nachdem er seine Axt wieder vom Boden aufgelesen hatte. »Je eher wir von diesem Ort des Grauens verschwinden, desto besser.«
»Du hättest nicht herkommen sollen«, sagte Erwyn leise. »Es gibt kein Entkommen von diesem Ort.«
»Woher willst du das wissen, Grünschnabel? Du hast es ja noch nicht einmal versucht.«
»Ich habe ihn gesehen, Alphart«, hauchte Erwyn bedeutungsschwanger.
»Ihn gesehen? Wen, verdammt noch mal?«
»Muortis«, sagte der Junge mit einer Stimme, die den Wildfänger schaudern ließ.
»Wenn schon!« Alphart gab sich unbeeindruckt. »Wir müssen weg von hier. Oder willst du lieber wieder in dein Kerkerloch zurück?«
Zum Entsetzen des Jägers schien Erwyn tatsächlich darüber nachzudenken. Doch ehe der Junge etwas entgegnen konnte, das Alphart nicht hören wollte, versetzte ihm der Wildfänger einen herzhaften Stoß in Richtung Ausgang. »Nichts da, Bürschchen!«, knurrte er, um seine Bestürzung zu vertuschen. »Das könnte dir so passen, dich wieder in dein Loch zu verkriechen, während deine Kameraden und der Rest der Welt ums Überleben kämpfen. Los, vorwärts, ehe ich mich vergesse und dir den Hintern versohle!«
Erwyn widersprach nicht mehr und setzte sich in Bewegung, wenn auch fast widerwillig. Alphart, dem das viel zu langsam ging, packte ihn und schleppte ihn mit sich, an den anderen Kerkerlöchern vorbei, aus denen entsetzliche Laute drangen.
Sie gelangten zur Treppe, wo die erschlagenen Erle lagen.
»Ist das alles?«, fragte Erwyn, als er die beiden Kadaver erblickte. »Nur zwei Wachen?«
»Allerdings«, schnaubte Alphart. »Wir können von Glück sagen, dass Muortis’ Unholde an der Oberfläche dringender benötigt werden als hier.«
»Dringender?« Der Junge lachte freudlos auf, und mit einem Tonfall, der Alphart ganz und gar nicht gefallen wollte, fügte er hinzu: »Du hast keine Ahnung, wovon du sprichst…«
44
Je tiefer Yvolar in das Reich des schrecklichen Feindes eindrang, desto unbarmherziger wurde die Kälte, und auch das Licht wurde immer spärlicher; der unheimliche grüne Schein, der die Gänge und Stollen dieser Unterwelt erfüllte, nahm ab, je näher der Druide jenem finsteren Ort kam, an dem der Herr der Nebel und des Eises Hof hielt – dem Thronsaal von Urgulroth…
Dorthin hatte sich Muortis nach seiner Niederlage gegen die Sylfen zurückgezogen, dort hatte er seine Wunden geleckt und die Zeiten überdauert. Solange bis aus der Geschichte von einst Mythen geworden waren und diese Mythen in Vergessenheit gerieten, sodass es kaum noch jemanden gab, der sich seiner erinnerte. So, dachte der Druide voller Bitterkeit, begann es stets – mit dem Vergessen. Und auf das Vergessen der Vergangenheit folgte der Tod.
Nur gut, dass nicht alle Sterblichen mit Blindheit geschlagen waren. Zumindest ein paar von ihnen waren rechtzeitig aus ihrer Lethargie erwacht und hatten die Augen geöffnet für eine größere und bedeutendere Welt. Yvolar konnte nicht anders, als leisen Stolz zu empfinden für die Freunde, die er gewonnen und die ihn auf seiner Reise zum Kern der Finsternis begleitet hatten. Sie alle würden auf ewig einen Platz in seinem Herzen haben – ob sich ihre Opfer allerdings lohnen oder vergeblich sein würden, wusste der Druide noch nicht. Das Schicksal der Welt balancierte in diesen Tagen auf einem schmalen Grat…
Anders als zu jenen Zeiten, da die Sylfen in den Kampf eingegriffen und die ganze
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