Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
sein!«
»Offenbar doch«, sagte Herras ebenso trocken wie streng, während die Ritter ihre Pferde wendeten. Einige der Tiere scheuten und stellten sich auf die Hinterbeine, aber nicht eines von ihnen bewegte sich mehr auf den Waldrand zu, wo Galfyns Krieger lauerten.
»Der Kriegsherr aus der Goldenen Stadt, der unser Stammestier im Wappen trägt, hat erkannt, dass es sich um eine Falle handelt«, stellte der Waffenmeister fest. »Offenbar hat er den Blick des Falken.«
»Aber das… kann nicht sein!«
»Warum nicht? Weil du es nicht vorausgeplant hast?« Der beißende Spott in Herras’ Stimme war unüberhörbar. »Was nun, Häuptling? Ein guter Anführer pflegt stets einen zweiten Plan zu haben für den Fall, das der erste nicht funktioniert.«
Galfyn presste die Lippen aufeinander.
Die Reiter Iónadors in den Wald zu locken war sein zweiter Plan gewesen – ursprünglich hatte er vorgehabt, den feindlichen Kämpfern an der Furt zu begegnen. Das Eis hatte diesen ersten Plan zunichte gemacht, die Schläue seines Feindes oder dessen Misstrauen den zweiten.
Oder steckte mehr dahinter?
Hatte Verrat sein Vorhaben vereitelt?
Jähzorn schoss in Galfyn hoch und blockierte jeden weiteren Gedanken. »Du willst wissen, ob ich einen weiteren Plan habe, alter Mann?«, fuhr er Herras an. »Den habe ich in der Tat: Wir werden kämpfen – Mann gegen Mann, bis zum letzten Blutstropfen!«
»Ein kluger Plan, fürwahr«, sagte der alte Krieger, ohne dass Galfyn zu sagen vermochte, ob die Worte ernst gemeint waren.
»Wirst du mir folgen?«, fragte er nur.
»Mein Junge«, knurrte Herras, »du warst stets wie ein Sohn für mich. Ich habe dich erzogen und dich im Kampf unterwiesen, dir alles beigebracht, was ich für nötig erachtete. Ich werde dir überallhin folgen – auch in den Tod!«
»So sei es«, entgegnete Galfyn grimmig, sprang von der Plattform und glitt am Kletterseil in die Tiefe, umweht von seinem grünen Umhang. Sein Waffenmeister folgte ihm ohne Zögern – obwohl er davon überzeugt war, dass dies die letzte Schlacht war, die er in seinem Leben schlagen würde.
Sie langten gerade in dem Augenblick unten an, als die zurückkehrende Reiterei mit dem nachrückenden Fußvolk zusammentraf. An der Spitze des sich vereinenden Heeres gewahrte Galfyn Wappen und Banner des Falken – seines Stammestieres! Galfyn kam es vor wie blanker Hohn, fast schon wie eine Schändung. Sein Ziel stand fest. Er wollte den Kopf des falschen Falken, wollte das gegnerische Heer seines Führers berauben…
»Mir nach!«, brüllte er aus Leibeskräften, und zusammen mit den Falkenkriegern, die die alte Eiche bewacht hatten, stürmte er los, Barand und seinen Rittern entgegen. Auch Herras folgte ihm, und im Laufen stieß der Waffenmeister in sein Horn.
Dutzendfach, hundertfach wurde der Ruf aus dem Wald mit Geschrei beantwortet, und im nächsten Moment brachen die Waldkrieger, die sich dort verborgen gehalten hatten, aus dem verschneiten Unterholz hervor: Bärenkrieger mit wehenden Mähnen, Hirschkämpfer mit furchterregenden Geweihen auf den Helmen, Biber und Wölfe, die ihre Äxte und Schwerter schwangen.
Die Laute jener Tiere ausstoßend, die ihren Stämmen den Namen gaben, stürmten sie dem Feind entgegen – nicht wohlgeordnet und in regelmäßigen Reihen, sondern als wilde Horde. Galfyn und seine Falken, die sich die Gesichter nach altem Brauch blau bemalt hatten, um den Gegner zu erschrecken, setzten sich an die Spitze, und so stürzten sie auf die Streitmacht Iónadors zu, die sich eben erst wieder formierte.
Keinem der beiden Heerführer war es gelungen, seine Strategie umzusetzen. Jeder von ihnen hatte geglaubt, den Feind zu überlisten und den Sieg auf leichte Weise davontragen zu können. Aber dies hatte sich als Trugschluss erwiesen. Nun würde geschehen, was keiner der beiden gewollt hatte: Rohe Gewalt würde den Ausschlag zu Sieg oder Niederlage geben.
Blut würde mit Blut vergolten werden.
Hass mit immer neuem Hass.
Tod mit nur noch mehr Tod…
Nur noch zwanzig Schritte trennten die Kontrahenten – ein Feld, das mit jedem Schritt kleiner wurde und dessen vereister Boden in wenigen Augenblicken von rotem Lebenssaft getränkt werden würde.
Galfyn und Herras stießen den Schrei ihres Stammestiers aus, bereit, sich auf ihre Gegner zu stürzen – als etwas Unerwartetes geschah.
Schlagartig verfinsterte sich die Sonne, und etwas, das dunkel und bedrohlich war und riesig groß, stieß aus dem grauen
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