Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
Trotzig schüttelte Galfyn den Kopf, während immer noch mehr Blut aus den Mundwinkeln seines geliebten Lehrers rann. »Das darfst du nicht…«
Herras verzog das Gesicht; es sollte wohl ein Lächeln sein. Im nächsten Moment jedoch durchlief eine Schmerzwelle seinen Körper, und ein erstickter Schrei entfuhr seiner Kehle. Als er wieder sprach, klang seine Stimme brüchig und kraftlos. »Du… du warst… in mancher Hinsicht… wie ein Sohn für mich… bin immer stolz auf dich gewesen… aber darfst… nicht…«
»Was?«, fragte Galfyn flüsternd. »Was darf ich nicht?«
»Darfst dein Handeln… nicht von Hass bestimmen lassen… Ein guter Häuptling… lässt sein Handeln nicht vom… vom Hass bestimmen… Höre auf den Druiden… vereine die Stämme… schließe Frieden mit dem Bergvolk… und deine Taten werden… noch größer als die Fynrads… Hörst du?«
»J-ja, Oheim«, antwortete Galfyn beklommen.
»Schwöre es!«, verlangte Herras. Sein Blick schien sich für einen Moment zu klären und richtete sich auf das Gesicht seines Neffen. »Schwöre, dass du Frieden schließen wirst und…«
»Ich schwöre es«, flüsterte Galfyn.
Noch einmal bäumte sich der alte Herras auf vor Schmerz, dann erlahmte die Kraft seiner Finger, er ließ Galfyns Hand los, sein Blick brach, und sein Körper entkrampfte sich.
Es herrschte Schweigen.
Galfyn schloss die Augen, als würde er ein Gebet zu seinen Ahnen schicken – dabei versuchte er nur krampfhaft, die Tränen zu unterdrücken. Heiß brannten sie unter seinen Lidern, während der junge Anführer des Waldvolkes im Stillen erneut Rache schwor.
Nur dass sein Zorn diesmal nicht mehr dem Bergvolk galt, sondern jenen Kräften, die in Wahrheit hinter allem steckten, die den Überfall auf das Falkendorf ebenso zu verantworten hatten wie Herras’ Tod…
Als Galfyn die Augen wieder öffnete, sah er, dass die seines Oheims geschlossen waren. Barand von Falkenstein, der sich neben Herras und Galfyn niedergelassen hatte, hatte sie ihm sanft zugedrückt.
»Ich kann es nicht glauben«, murmelte Barand fassungslos. »Eolacs Klinge galt mir…«
»In der Tat«, bestätigte Yvolar bitter. »Der Scharlatan wusste, dass deine Leute angreifen würden, sähen sie ihren Anführer blutend niedersinken, und er dachte sich, dass im allgemeinen Chaos niemand mehr danach fragen würde, wer den tödlichen Streich geführt hätte. Er hatte wohl gehofft, in den Wirren der Schlacht zu entkommen.«
»Dieser elende Narr, dieser verdammte Verräter!«, ereiferte sich Barand. Dann schaute er zu dem Druiden auf und sagte: »Aber das erklärt nicht, weshalb ein Waldkrieger mein Leben als so wertvoll erachtet, dass er seines dafür opfert.«
»Vielleicht«, antwortete Yvolar, »hat Herras in seiner Weisheit erkannt, wie töricht die Zwietracht zwischen dem Waldvolk und den Bewohnern Allagáins ist und dass eine neue Bedrohung neue Bündnisse erfordert. Bündnisse, die von solcher Wichtigkeit sind, dass sie mit Blut besiegelt werden müssen.«
»Und genau so soll es geschehen«, sagte Galfyn mit fester Stimme. »Herras war mein Oheim, und er war auch mein Waffenmeister und Lehrer. Er hat mir mehr beigebracht als jeder andere, denn selten ließen die Pflichten meines Vaters ihm genug Zeit, nach mir zu sehen. Herras zog mich auf. Von ihm habe ich gelernt, was es bedeutet, Häuptling zu sein und Verantwortung zu tragen. Leider«, fügte er hinzu und blickte schuldbewusst in das bleiche Gesicht des Toten, »habe ich in letzter Zeit nur noch selten auf ihn gehört. Die Schreie des Zorns und der Ruf nach Rache waren lauter als die Stimme meines treuen Lehrers. Aber… damit ist es nun vorbei.«
Er schaute auf, und auf einmal kümmerte es ihn nicht mehr, dass seine Augen in Tränen schwammen, als er den Blick Barands von Falkenstein suchte. Es dauerte noch einen Moment, bevor er wieder sprechen konnte, dann sagte er: »Mit seinem letzten Atemzug forderte mich mein Oheim auf, Frieden zu schließen mit Allagáin. Wohlan…« Und über den erkaltenden Körper seines getreuen Waffenmeisters streckte er Barand die Hand zur Versöhnung entgegen. »Ich werde tun, was noch kein Anführer des Waldvolks vor mir tat, und biete euch ein Bündnis an. Wenn es wahr ist, was der Druide sagt, so seid nicht ihr es gewesen, die mein Heimatdorf überfielen und die wehrlosen Menschen dort abschlachteten, sodass euch weder unser Zorn noch meine Rache gilt. Im Gegenteil sollten wir zusammenstehen, um jenem neuen
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