Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
zu tun, was ihn selbst weitergebracht hatte. Und bisher war dies stets das gewesen, was Klaigon von ihm erwartet hatte. In einem kurzen Moment der Schwäche hatte er diesen Grundsatz aus den Augen verloren, damals, als er den Erlschädel erblickt und im ersten Schrecken dazu geraten hatte, einen Boten nach Damasia zu entsenden, um den Druiden vom Urberg um Hilfe zu ersuchen.
Ein Fehler, wie sich im Nachhinein herausgestellt hatte – allerdings einer, den Eolac zu berichtigen gedachte. Denn tat er es nicht, würden Klaigons neue Helfer dafür sorgen, dass er diesen Fehler tausendmal bereute.
Unter Folterqualen…
Der Seher ließ ein tiefes Seufzen vernehmen. Die Schultern, um die der Federumhang lag, sanken herab, und seine hagere Gestalt schien ein Stück kleiner zu werden. Mit einem Ausdruck der Resignation in seinen bleichen, faltigen Zügen wandte er sich ab und wog die übrigen Anwesenden in trügerischer Sicherheit…
… um unbemerkt unter den Umhang zu greifen und den Dolch zu zücken, den er dort verborgen hielt.
Im nächsten Moment überstürzten sich die Ereignisse.
Unerwartet fuhr der Seher herum, die Klinge in der Hand, um sie in Barands ungeschützten Rücken zu stoßen. So plötzlich tat er es, dass weder der Drache noch der durch das Gift geschwächte Druide rechtzeitig reagieren konnten.
Nur einer schien damit gerechnet zu haben.
Herras.
Mochten es die durch das Leben im Wald geschulten Instinkte sein oder eine Ahnung, die ihn derart schnell handeln ließen – jedenfalls sprang er mit einem gewaltigen Satz vor. Ihm blieb nicht die Zeit, die eigene Waffe zu ziehen und den Übeltäter niederzustrecken, wohl aber, denjenigen beiseite zu stoßen, dem der hinterhältige Anschlag galt.
Barand von Falkenstein wusste nicht, wie ihm geschah, als er plötzlich so hart zur Seite gerammt wurde, dass er zu Boden stürzte. Die tödliche Klinge jedoch war bereits auf dem Weg – statt sich jedoch in den Rücken des Marschalls von Iónador zu bohren, grub sie sich in Herras’ Herz.
»Nein!«
Entsetzt starrte der Seher auf den Dolch, der bis zum Heft in der Brust des Waldkriegers steckte. Herras stand unbewegt, den Blick starr und anklagend auf Eolac gerichtet, während ein dünner Blutfaden aus seinem linken Mundwinkel lief. Dann brach der Bann, unter dem alle Anwesenden für Augenblicke gestanden hatten.
»Elender!«, rief Yvolar, und der Stab des Druiden fuhr herab und ereilte den Verräter.
In einer Wolke schwarzer Federn, die sich wie ein Leichentuch über ihn breiteten, ging der Verräter nieder, und sein Blut besudelte den Schnee. Ein Ruck ging durch die Reihen der Krieger Iónadors, die aus der Ferne mitbekamen, dass etwas geschehen war, und schon losstürmen wollten, um ihrem Anführer zu Hilfe zu eilen. Indem er die Arme in die Höhe riss, bedeutete Barand ihnen zurückzubleiben, wissend, dass dies das Ende der Verhandlungen gewesen wäre und der Beginn des blutigen Schlachtens.
Eolac lag am Boden, den Schädel halb zertrümmert, das Gesicht eine blutverschmierte Fratze. Aber noch lebte der Verräter, hob und senkte sich sein Brustkorb in krampfhaften Atemzügen.
Herras, der sich bislang noch tapfer auf den Beinen gehalten hatte, brach in die Knie. Sofort war Galfyn bei ihm, stützte ihn, sodass er nicht umkippte, und voller Entsetzen drang der Name seines Onkels und Beraters über seine zitternden Lippen: »Herras…«
Alle waren ergriffen, standen wie unter Schock. Sogar der Drache rührte sich einen Moment lang nicht.
»Ihr… Narren…«, hörten sie auf einmal die schwache und gurgelnde Stimme Eolacs. »Ihr… wisst nicht… mit wem ihr euch… anlegt…«
»Wir wissen es«, versicherte Yvolar gefasst.
»Ich habe… in das Auge des Eisriesen geblickt… und die Kälte darin gesehen… Kaelor wird euch… vernichten, hört ihr? Er… er wird euch vernichten…«
Noch einmal war ein Gurgeln zu hören, dann tat Eolac der Seher seinen letzten Atemzug.
Galfyn ließ Herras’ erschlaffenden Körper niedersinken und bettete dessen Kopf in seinem Schoß. »Oheim!«, brachte er erschüttert hervor. »Bitte tu mir das nicht an…«
»Ga-Galfyn…« Suchend tastete die Rechte des alten Waldkriegers umher, bis sie die des jungen Häuptlings fand, und daraufhin entspannten sich seine Züge ein wenig. »Hör mir zu, Junge…«
»Was hast du nur getan, Herras? Du… du…«
»Ich werde sterben«, sagte Herras gefasst und ohne Bedauern, »heimgehen zu Fynrad und unseren Ahnen…«
»Nein.«
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