Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
alten Feind zu begegnen, der unsere Welt schon einmal bedrohte.«
Überrascht starrte Barand auf Galfyns Hand. Ein Teil von ihm schien sie sogleich ergreifen und das Bündnis besiegeln zu wollen; ein anderer, vorsichtigerer Teil jedoch hielt sich noch zurück.
»Barand?«, fragte Yvolar, dem die Schwäche, die das Gift verursachte, zunehmend anzumerken war.
»Wer sagt mir, dass Ihr es ehrlich meint?«, wollte Barand von Falkenstein wissen. »Dass dies keine Falle ist, in die Ihr mich zu locken versucht?«
»Herras’ Blut sagt dir dies«, entgegnete Galfyn. »Er gab sein Leben, um das deine zu retten – wie kann dies eine Falle sein?« Beide knieten sie vor Herras’ Leiche, und beide schwiegen sie einen Moment lang, bis Galfyn wieder das Wort ergriff. »Mein Oheim machte mich auf deinen Titel aufmerksam, Barand von Falkenstein. Du trägst in deinem Wappen jenes Tier, das meinem Stamm den Namen gab, den Falken. Er hielt dies für ein Zeichen, worauf ich entgegnete, dass die bevorstehende Schlacht als der Kampf der Falken in die Geschichte der Clans eingehen würde. Doch ich habe mich geirrt. Der Falke ist nicht des Falken Feind, sondern sein Bruder.«
Es war dem Schwertführer Iónadors anzusehen, dass Galfyns Worte ihn zutiefst berührten. Der Mann, der eben noch sein Todfeind gewesen war, nannte ihn auf einmal »Bruder«. Dennoch entgegnete er: »Wenn du mein Bruder bist, was ist dann mit den anderen Stämmen? Sie sind dir in den Krieg gefolgt – werden sie dir auch in dieses Bündnis folgen?«
»Das Waldvolk hat viele Stimmen, das ist wahr, und in diesem Augenblick kann ich nur mit der des Falkenclans sprechen«, sagte Galfyn. »Aber ich versichere dir, dass ich alles daransetzen werde, dass auch die anderen Stämme diesem Bündnis beitreten.«
»Selbst wenn – können wir diesen Krieg überhaupt gewinnen?«
»Gegen den Herrn des Eises gibt es nur Sieg oder Vernichtung«, antwortete Yvolar an Galfyns Stelle. »Es geht nicht darum, den eigenen Machtbereich zu erweitern, Ländereien zu erobern, und auch nicht um Ehre und Ruhm – dieser Kampf gilt allein dem Überleben. Insofern stellt sich deine Frage nicht, Barand von Falkenstein, denn unabhängig davon, wie gut oder schlecht die Zeichen stehen, dieser letzten, alles entscheidenden Schlacht kann sich niemand entziehen.«
Barand legte die Stirn in Falten. Noch immer im Schnee kniend, blickte er über die Schulter zu seinen Leuten, die am Westufer zur Schlacht bereitstanden. Nur ein Wink von ihm, dann würden sie angreifen, und das blutige Schicksal, das Klaigon ihnen zugedacht hatte, würde sich im Tal des Allair erfüllen. Zahllose Krieger und unerfahrene Bauern würden dabei den Tod finden und möglicherweise auch er selbst – aber es war der Befehl und der Wille des Fürstregenten. Und war er als oberster Schwertführer Iónadors nicht diesem Willen verpflichtet?
»Klaigons Befehle haben nicht länger Gültigkeit«, erklärte Yvolar, der Barands Gedanken zu erraten schien, »denn er hat sich auf die Seite des Feindes geschlagen und ist damit zum Gegner geworden. Statt dir über ihn den Kopf zu zerbrechen, frage dich lieber, was dir dein Gewissen sagt, Barand von Falkenstein – denn wenn wir diesen letzten Kampf gewinnen, werden es deine Schultern sein, auf denen künftig das Schicksal der Goldenen Stadt ruht.«
»Ich verstehe«, sagte Barand leise.
Noch einen winzigen Augenblick zögerte der Marschall von Iónador – dann ergriff er die Hand Galfyns, die dieser ihm entgegenhielt. »So geschehe es«, sprach er. »Was ich tue, tue ich nicht um meinetwillen, sondern zum Wohle Iónadors und Allagáins. Möge der Schöpfergeist es fügen, dass diese Entscheidung die richtige ist. Für Allagáin und die Berge, Falkenbruder.«
»Für Fynrad und die Wälder, Falkenbruder«, bestätigte Galfyn.
Eine endlose Weile lang schien der Handschlag zu währen, und als die Blicke der beiden Männer einander diesmal begegneten, waren sie nicht mehr Feinde, sondern Verbündete.
»Wohl gesprochen, meine Freunde«, erwiderte Yvolar, dessen faltigem Gesicht die Erleichterung anzumerken war. »Wie auch immer dieser Konflikt ausgehen wird, den keiner von uns wollte und in den wir gegen unseren Willen gedrängt wurden – dieser Tag wird in Erinnerung bleiben als… als…«
Der Druide stockte plötzlich in seiner Rede. Seine Züge, von Schlamm und dem Blut der erschlagenen Erle verschmiert, verzerrten sich, während seine Rechte in Richtung seines Herzens zuckte.
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