Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
Plötzlich ergab alles einen Sinn. Cerise biss sich auf die Lippen. William war ein Monster. Das Waisenhaus, das Militär, die unverkennbare Willenskraft, alles ergab einen Sinn.
»Du musst dich unmissverständlich ausdrücken«, sagte Murid. »Keine Spielchen. Keine Andeutungen. Du musst sehr, sehr deutlich mit ihm sprechen, Cerise. Und sehr vorsichtig, denk nach, bevor du etwas unternimmst. Er ist gefährlich. Hugh hat nicht sehr oft die Gestalt gewechselt, William schon, denn er weiß, wie er es verbergen kann. Er hat zu kämpfen gelernt, und wer auch immer ihn ausgebildet hat, wusste, wie er das Beste aus Williams Stärken herausholt. Bisher benimmt er sich, aber allein, mit oder ohne Klinge, hast du gegen ihn keine Chance. Sende ihm keine falschen Signale, und pass auf, dass er nicht über dich herfällt. William weiß womöglich nicht mal, dass man einer Frau keine Gewalt antut.«
Das Haus am See drängte sich in ihr Gedächtnis. Oh, und ob er das wusste.
»Wenn du es zulässt, wird er dich für immer lieben und gar nicht wissen, wie er wieder loslassen soll. Du musst dir sicher sein, dass du ihn wirklich willst, ehe du dich darauf einlässt. Und …« Murid hielt inne. »… deine Kinder. Falls du welche bekommst.«
Ihre Kinder wären Welpen. Oder Kätzchen. Oder was auch immer William war.
Familie ist echt nicht so mein Ding .
Oh, ihr Götter, endlich, nach all der Zeit, hatte sie den Mann gefunden, den sie wollte, und nun stellte sich heraus, dass er ein Gestaltwandler war. Womöglich lastete ein Fluch auf ihr. »Einfach ist es wohl nie, was?«
Tante Murid wandte sich ihr zu. »Ich hatte auch mal Chancen bei den Männern, ich hab sie nicht ergriffen, weil es mir zu schwer und zu kompliziert vorkam. Sieh mich an, wie überglücklich ich bin, so alt und allein. Scheiß auf einfach, Ceri. Wenn du ihn liebst, kämpfe um ihn. Nichts in der Welt, was man haben will, ist umsonst. Wenn du ihn nicht liebst, lass ihn ziehen. Aber lass dir mit der Entscheidung nicht zu viel Zeit. Unsere Zukunft könnte schon bald vorbei sein.«
Dann drehte sie sich um und verschwand im Düster.
William trabte durch die Nacht und folgte Cerises Duftmarke. Er hatte schon immer sehr auf weibliche Gerüche geachtet. Manche erstickten unter Parfüm, in andere mischte sich die letzte Mahlzeit der Frau. Manche Aromen reizten ihn, andere schrien ihn an und ein paar machten sich klein und verkündeten leichte Beute!
Cerises Geruch war so, wie er sich den Geruch seiner Frau vorstellte. Sauber, mit einer Andeutung von Haarwaschmittel, einem Hauch Schweiß, und Anzeichen von etwas, das er nicht so recht einordnen konnte, etwas Gesundes, Gefährliches, Erregendes, das seine Nerven entzündete.
Hmm, Cerise .
Er folgte ihrem Duft über den Balkon, ums Haus herum und schied sie von Murids Fährte. Die beiden Frauen hatten eine Zeit lang hier gestanden, dann war Murid gegangen, Cerise aber war geblieben und hatte die Hände aufs Geländer gelegt und etwas betrachtet … Er beugte sich über das Geländer. Unter ihm ragten Moorkiefern auf und kratzten am Nachthimmel. Zwischen den Wurzeln standen bleiche Jungfernschellen, zart wie Tassen aus Milchglas. Cerise hatte hier gestanden und die Blumen angeschaut. Wenn sie Blumen mochte, würde er welche für sie pflücken.
William setzte über das Balkongeländer und landete auf weicher Erde. Fünf Minuten später kletterte er mit einer Handvoll Blumen zurück und folgte wieder Cerises Duftmarke, die ihn hinters Haus führte. Er bog um die Ecke und prallte gegen Kaldar, der eine Flasche grünen Wein und zwei Gläser trug.
Gottverdammt.
Kaldar blickte auf seine Blumen. »Netter Einfall. Hier.« Damit drückte er ihm Flasche und Gläser in die Hand. William nahm beides unwillkürlich entgegen. Kaldar deutete hinter sich. »Jetzt haben Sie alles. Kleine Tür. Die Treppe rauf.«
Dann verschwand er dorthin, woher William gerade gekommen war, um die Hausecke.
Verrückte Familie. William betrachtete die Weinflasche. Warum eigentlich nicht ?
Die Tür führte zu einer schmalen Treppe. Er lief die Stufen hinauf zu einer kleinen Kammer. Holzfußboden. Nackte Dachsparren über seinem Kopf. Die Kammer musste vom Rest des Dachbodens abgetrennt worden sein. Links öffnete sich die Dachschräge zu einem kleinen Balkon. Rechts standen zwei weiche Sessel. Im linken, neben einer Stehlampe, hatte es sich Cerise bequem gemacht und las ein Buch.
Jetzt hab ich dich .
Dann sah sie ihn und blinzelte erschreckt.
Er
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