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Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Titel: Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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Mappe schwankte sanft mit Spiders geschmeidigen Schritten.
    John achtete auf den Boden vor seinen Füßen. In der Mappe befanden sich übersetzte Aufzeichnungen, die Gedanken eines genialen Verstandes. Wozu er, gerüstet mit dieser Mappe, fähig wäre. Allein bei der Vorstellung, was sich darin verbergen mochte, schwirrte John der Kopf. Er faltete die Hände, um nicht danach zu greifen. Beinahe konnte er das glatte Leder an den Fingerspitzen spüren.
    Es fiel ihm schwer, für Spider zu arbeiten. Er war ganz vernünftig, aber nur, wenn die Umstände es zuließen, hatte Sinn für Probleme, ließ sich aber nicht im Geringsten davon beeindrucken, und erwartete Unmögliches binnen unmöglicher Fristen.
    Und John hatte das Unmögliche getan. Eine Verschmelzung, zudem eine verhältnismäßig stabile, in weniger als einem Monat. Er hatte es hingekriegt, und Spider schien zufrieden. Doch die Früchte seiner Arbeit, der Lohn, war in der Mappe unter Spiders Arm verschlossen, und John war nicht so dumm, Spiders scheinbarer Seligkeit zu trauen.
    »Wir haben drei mögliche Standorte entdeckt«, sagte Spider gerade. »Wir benötigen ein, zwei Tage, um sie zu untersuchen, und womöglich einen weiteren, um die Einheit sicherzustellen. Ich selbst werde ungefähr eine Woche fort sein.«
    Fort. Das Wörtchen klang in Johns Ohren wie Glocken. Er wird fort sein.
    »Weshalb drei Standorte, Mylord?«
    »Die Aufzeichnungen im Journal sind, was die Orientierungspunkte angeht, nicht eindeutig. Ein Einheimischer würde die richtige Stelle womöglich auf Anhieb erkennen, aber ich wollte das Dokument nicht durch die Anwesenheit eines Außenseiters kompromittieren. Daher brauche ich fast jeden Mann. Wir müssen ein großes Gebiet absuchen.«
    Ein schwaches Licht erhellte die trübe Melancholie in Johns Kopf. Spider sagte ihm dies nicht ohne Grund.
    »Zum Schutz des Hauses lasse ich zwei Würger und einen Wächter zurück. Aber das ist gegenwärtig nur eine Formalität. Außer dir, und Posad natürlich, gibt es hier nichts von Wert, außerdem bieten die Fallen genug Schutz.
    Wenn wir die Einheit erst mal gefunden haben und die Sicherstellung abgeschlossen ist, schicke ich dir eine Bergungsmannschaft. Ich bin sicher, du bleibst lieber hier, als mit dem Rest von uns durch den Schlamm zu stapfen. Ich hoffe, die erzwungene Isolation ist kein Problem für dich?«
    John lächelte. »Nein, Mylord, ich brauche dringend Schlaf.«
    »Aah.« Spider nickte, die grauen Augen unter den blonden Brauen blickten ausdruckslos. »Dann überlasse ich dich also der Bequemlichkeit von Laken und Daunen.«
    Sie traten auf den Balkon im zweiten Stock hinaus. Der Wind trug die Feuchtigkeit aus der überschwemmten Niederung heran. John fröstelte. »Ein grässlicher Ort.«
    »Freundlich ausgedrückt.« Spider fuhr mit der Linken über das geschnitzte Geländer und sein Lächeln offenbarte gleichmäßige, scharfe Zähne. Das Lächeln jagte John Schreckensschauer übers Genick bis in die Fingerspitzen. Um sein Unbehagen zu kaschieren, gähnte er.
    »John, du bist erschöpft.« Spider klopfte ihm auf die Schulter. »Ab ins Bett mit dir.«
    »Mit Eurer Erlaubnis, Mylord.«
    »Geh nur, geh.« Mit einem Wink entließ Spider ihn. »Dein Gähnen ist ansteckend.«
    John verbeugte sich und marschierte in sein Quartier. Spider hatte die Übersetzung, das Journal lag noch in der Verschmelzungskammer. Und er rechnete damit, dass sich John da heranmachte. Ein weniger ehrgeiziger und feigerer Mann als er würde wohl einfach fortgehen. Und das sollte er lieber auch. Aber das Journal zog ihn an. Das Wissen darin … über das Geheimnis des Lebens, vielleicht sogar des ewigen Lebens. Damit ausgerüstet würde er in so ziemlich jedem Königreich um Asyl bitten können. Dann würde er die Anerkennung eines Genies genießen, wäre für den Rest seines Lebens geschützt und bewundert und erhielte die Chance, seine Arbeit in die gewünschte Richtung zu lenken, anstatt sich nach einem Halunken richten zu müssen. Denn Spider war ein Halunke, immerhin ein intelligenter, weltgewandter, königlich bestellter, aber dennoch ein Halunke. Der Unterschied zwischen ihm und dem Anführer einer gemeinen Straßenbande bestand lediglich im Ausmaß der Schäden, die er anrichten konnte.
    John betrat sein Zimmer und schloss die Tür. Er musste bis morgen warten, bis Spider fort war, und er musste auch dann noch vorsichtig sein. Sehr vorsichtig.
    Als er sich dem Haus näherte, biss William der scharfe

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