Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
er jemals gegen Ruh kämpfen, würde er am besten von oben genau zwischen seine Schulterblätter zielen.
Das Ding über der Schulter des Spurensuchers zitterte wie ein Wurm von der Farbe roher Muskelfasern und wickelte sich um Ruhs Rothaut. Der schleimnasse Tentakel glitt tastend an seinem Arm hinab, gefolgt von einem zweiten, der sich um den ersten wand, schließlich von einem dritten.
Cerise würgte. William umschlang sie fester. Wenn sie sich übergab, würde die Körperflüssigkeit den Bann brechen.
Die Tentakel fielen ins Wasser. Das Rolpie jammerte und schrie und versuchte sich loszureißen.
Übelkeit erregende Magie überrollte sie wie eine Lawine.
Cerise erschauerte in seinen Armen.
Nicht in Panik geraten. Jetzt bloß nicht in Panik geraten . »Ich halte Sie«, hauchte er in ihr Ohr.
Dünne Ranken Magie kamen vom Boot her auf sie zu. Glitzerten farblos wie heiße Luft über einer Straße, glitten wie Schlangen über den Fluss, durchs Schilf und kamen immer näher.
Wenn der Bann brach, waren sie am Arsch.
Die Magie verharrte, lauerte, suchte. Die farblosen Ranken leckten am Bann des Spiegels.
Halte, halte, verdammt noch mal, du musst halten .
Die Münze verbrannte Williams Hand. Cerise zuckte krampfartig. »Gleich vorbei«, flüsterte er. »Gleich haben wir’s geschafft.«
Ruh blickte vom Boot genau in ihre Richtung.
William hielt die Luft an.
Die Magieranken schwollen, teilten sich und glitten um ihren Stechkahn herum. Sie prüften das Ufer, schlitterten durch den Morast und zogen sich zurück.
Ruh wandte sich den Männern aus dem Edge zu. William strengte sich an und vernahm leise Ruhs ferne Stimme.
»Das Mädchen … nicht hier lang. Weiter …«
Sie waren hinter einem Mädchen her. Das Mädchen? Dieses Mädchen?
Der Fährtenleser zog seine Tentakel aus dem Fluss zurück. William erhaschte einen Blick auf ein verwickeltes, mit langen, tropfnassen, wimperndünnen Härchen bedecktes Gewebe, das sich im nächsten Moment zusammenfaltete. Die Flimmerhärchen glitten in die Tentakel, die Tentakel rollten sich wie Gummibänder in der Schulter zusammen, und die Haut versiegelte das Ganze wieder. Ruh massierte den zähen Schleimbatzen, rieb ihn wie eine Lotion in die Haut ein und griff schließlich nach seinem Umhang.
Der ältere Edger ließ die Leine von der Rolle, das Rolpie schoss in den Fluss hinaus, schwamm um sein Leben und riss das Boot mit sich fort.
William wartete. Eine Minute verging. Dann noch eine. Zeit genug. Er ließ die Münze los. Nutzlos und kalt lag sie in seiner Hand. Ihre Ladung war vollständig aufgebraucht. Eines musste er dem Spiegel lassen. Man machte dort hübsche Spielsachen.
Cerise sackte nach vorne, krümmte sich zu einem Ball. Alles an ihr, was nicht dreckverkrustet war, hatte eine so blasse Farbe angenommen, dass sie beinahe grün wirkte. Die Nachwirkungen der Magie, der sie durch die Hand ausgesetzt gewesen war, mussten sie nun mit voller Wucht treffen.
Wenn Spider hinter ihr her war, musste William dafür sorgen, dass sie in seiner Nähe blieb. Früher oder später würde Spider sie ausfindig machen, dann würden sie ihren vor vier Jahren begonnenen Pas de deux zu Ende bringen.
Cerise hustete.
Die Wildheit in ihm fletschte die Zähne. Cerise war schwach und hatte Angst. Sie konnte einem fast leidtun. Leichte Beute für jedermann. Er musste sie beschützen, oder es würde sie den Kopf kosten.
»Die suchen nach Ihnen.« Er sprach mit betont energischer Stimme.
Sie krallte die Finger in ihren Bauch. Ihre Worte kamen angestrengt: »Keine Fragen.«
»Das war die Hand. Louisianas Spione. Was wollen die von Ihnen?«
Sie schüttelte den Kopf.
Schön. Die Nachwirkungen der Magie wurden mit der Zeit schlimmer. Er musste nur in ihrer Nähe bleiben, so wie ein Wolfsrudel sich in der Nähe eines ausblutenden Hirschs herumtrieb. Früher oder später würde der Hirsch sich seine Gesundheit ruiniert haben, und das hieß dann Essenszeit.
William nahm ihr die Stange ab, stieß sie ins Wasser und beförderte ihr Boot zurück in die Strömung.
6
Cerise fröstelte. Eisnadeln durchbohrten ihre Rückenmuskulatur und piksten in ihr Rückgrat. Ihr Nacken wurde steif. Ihr Mund war trocken und schmeckte bitter.
Etwas krabbelte auf zahllosen pelzigen Beinchen ihren Arm hinauf. Sie wollte es wegwischen, doch ihre Finger schlossen sich um nichts. Um sicherzugehen, rieb sie sich den Arm, spürte die Berührung der Beinchen am Ellbogen, scheuerte dort, worauf unsichtbares
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