Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
Menschen zurückentwickelt, die nicht einmal mehr die Schriften ihrer Vorfahren entziffern konnten. Ihre mündliche Überlieferung hatte jedoch Bestand, und ihre Legenden erzählten von einem Geschenk des Sonnendrachens, das sich gegen sie gewendet und ihr Königreich vernichtet hatte. Nicht mal im Weird mischen sich die Götter in die Angelegenheiten der Sterblichen ein. Auch wenn wir zu ihnen beten, sind wir auf Gottesbeweise angewiesen. Daher wusste niemand genau, woher dieses Geschenk gekommen war. Vielleicht hatten es Priester der Tlatoken angefertigt. Vielleicht war es, Meteoriten gleich, aus den Abgründen zwischen den Sternen herabgestürzt. Vielleicht war es auch ein Artefakt eines vergessenen Volkes. Aber woher es auch gekommen sein mochte, auf jeden Fall zerstörte dieses Geschenk zuerst die Zivilisation der Tlatoken und blieb anschließend spurlos verschwunden.«
»Was geschah dann?«, fragte Rose.
»Der Erdteil wurde besiedelt, neue Länder entstanden, und einige, wie Adrianglia, wurden unabhängig. Die Tlatoken wurden zu einem bizarren Geheimnis der Geschichte. Vor etwa dreihundert Jahren beschloss der Urgroßvater des jetzigen Herzogs der Südprovinzen, einen Sumpf trockenzulegen. Dabei wurde ein seltsames eiförmiges Objekt unter einer Tonschicht zutage gefördert. Es war so schwer, dass man es nicht von der Stelle bewegen konnte, also befahl seine Hoheit, die Tonschicht aufzubrechen. Unter dem Ton stieß man auf Keramik, darunter auf eine Schicht aus reinem Eisen, dann auf noch mehr Keramik, schließlich auf Blei. Als endlich alle Schichten abgetragen waren, entdeckte seine Hoheit eine seltsame Vorrichtung. Und diese Vorrichtung erwachte bei der geringsten Berührung zum Leben und erschuf den ersten Bluthund, der sofort einen der Arbeiter tötete. Die absorbierte Magie floss in die Vorrichtung zurück und gebar den zweiten Bluthund.«
»Man hätte das Ding zerstören müssen«, warf Emily Paw ein.
»Das wollten wir auch«, nickte Declan. »Die Vorrichtung absorbiert Magie. Feuer kann ihr nichts anhaben. Also wurden Versuche unternommen, sie zu zerschmettern oder in geschmolzenem Metall zu versiegeln, aber nichts davon führte zum Erfolg. Diese Maschine besteht aus einem Material, das im Weird nicht vorkommt. Aber soweit wir wissen, funktioniert es sehr einfach: Es saugt Magie aus seiner Umgebung an und erschafft daraus Bluthunde, die wiederum Magie sammeln und in die Maschine einspeisen. Warum es das tut, wissen wir nicht. Doch wir wissen, dass die Bluthunde sich bevorzugt auf Menschen stürzen, und wir wissen, dass der Prozess unumkehrbar ist.«
»Hat das die Indianer im Weird getötet?«, wollte Tom Buckwell wissen.
»Manche glauben das. Die Maschine wurde als unmittelbare Bedrohung für das Reich eingestuft, darauf entstand ein Bunker nach dem Vorbild des Ursprungsobjekts: Mehrere Schichten aus Eisen, Blei, Keramik und Glas ordnete man so an, dass sie maximalen Schutz vor der Außenwelt boten. Dann wurde die Maschine in den Bunker gebracht und dessen Existenz fortan vor der breiten Öffentlichkeit geheim gehalten, um eine Panik oder terroristische Anschläge zu verhindern.«
Lee Stearns schnaubte. »Natürlich.«
»Der Bunker befindet sich im Forst von Beliy«, sagte Declan. »Das ist eine abstoßende, ungastliche Gegend, die niemand, der einigermaßen bei Verstand ist, freiwillig aufsuchen würde. Das Gebäude selbst steht auf einem Keramiksockel, der Forst wurde im Umkreis von einer Meile niedergebrannt, mit Salz bestreut und eingezäunt. Alle zwei Wochen sucht eine Mannschaft, die sich aus Mitgliedern einer Geheimabteilung der Herzöglichen Leibwache rekrutiert, den Bunker auf und vernichtet sämtliche andrängenden Pflanzen und Tiere, damit die Maschine keinen Zugriff auf die Magie in ihrer Umgebung erhält. Vor etwa zwei Wochen brach Casshorn Sandine, der Bruder des gegenwärtigen Herzogs, den Bunker auf und raubte die Vorrichtung. Seine Vorgehensweise war brillant: Insgeheim hatte er in den letzten anderthalb Jahren eine schmale Schneise in den Forst geschlagen, die ungefähr zwölf Meilen vor dem Bunker endete. Dann brach er in den Bunker ein und beförderte die Vorrichtung mittels eines Luftwaffenlindwurms, den er aus einem Zeughaus in der Nähe gestohlen hatte, zwölf Meilen durch die Luft bis zu seiner Schneise. Natürlich tötete die Maschine den Lindwurm, aber erst, nachdem er Casshorn zu seinem Fluchtweg getragen hatte. Dort lud er die Maschine auf einen Wagen und fuhr damit
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