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Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Titel: Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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erinnere ich mich«, sagte er. »Jetzt weiß ich, wie es ist, ein Vogel zu sein.«

 
    23
    Je tiefer man in den Wald eindrang, desto düsterer wurde er. Die Bäume wuchsen höher und dichter, ihre Stämme ragten empor wie kolossal geriefelte Säulen. Ihre Äste spreizten und wanden sich, verbunden durch Moose und Flechten sowie durch leuchtend blaue Bündel Zinnkraut, die wie die Haare gespenstischer Baumgeister aussahen. Hoch über dem Waldboden bildete das Laubdach eine Ebene für sich. Während Rose sich ihren Weg durch den Wald bahnte, warf sie hin und wieder Blicke nach oben, um sich davon zu überzeugen, dass Jack seiner Großmutter noch nicht ausgebüchst war. Der Junge hatte nicht erfreut reagiert, als er zurückbleiben musste.
    Sie betrachtete Declan, der beherzt ausschritt und sich in diesem Urwald heimisch zu fühlen schien. Er trug ein kleines Bündel, darin, gut verwahrt, zwei Krähen. George hatte die beiden nach ihrer Rückkehr nach Wood House reanimiert. Im Moment unterjochte er sie nicht, aber er würde spüren, wenn sie frei waren, und sie sofort übernehmen.
    Ihr Plan erschien ganz einfach: Sie würden sich Casshorn weit genug nähern, den richtigen Augenblick abpassen, die Krähen freilassen und sie unter Georges Kontrolle etwas stehlen lassen. Wenn die Krähen anschließend wegflögen, würden sie den Vögeln folgen, sich ihrer Ausbeute bemächtigen und dann, hoffentlich bei guter Gesundheit, das Weite suchen.
    George würden nur fünf Minuten bleiben, um die Vögel zu unterjochen. Nach dieser Frist würden Großmama und Jeremiah ihn aufwecken, ob er so weit war oder nicht. Laut Declan waren fünf Minuten ein einigermaßen sicherer Zeitraum. Rose hätte George das lieber erspart, aber ihr blieb keine andere Wahl. Alles in allem ein etwas wackliger Plan, aber einen besseren gab es nun mal nicht.
    Sie hatte mit Jeremiah und Leanne gesprochen. Sobald George wieder wach war und sie seiner Gabe nicht länger bedurften, würde Jeremiah ihn und Jack sowie Leanne und ihren Sohn sofort ins Broken verfrachten, angeblich, um Besorgungen zu machen. Leanne hatte genug Geld für ein anständiges Hotelzimmer bekommen und war taff genug, um mit den Jungen klarzukommen. Also würden sie ihre Brüder in Sicherheit wissen, ganz gleich, was sich im Edge abspielte.
    Der Wald ringsum wucherte. Hier regierte das Leben. Hunderte kleiner Geräusche verdrängten die Stille: Vögel zankten, Eichhörnchen kreischten wütend gegen ihre Edger-Feinde an, die kamen, um ihnen den Nachwuchs zu rauben, Dachse knurrten vernehmlich, und das vorsichtige, hustende Bellen des Fuchses in der Ferne klang ganz nah. Edge-Moose hüllten die Baumstämme ein, ihre wie Frauenschuh geformten Blüten leuchteten in zartem Rot, Gelb, Lavendel und Purpur. Umgestürzte Bäume boten neuen Lebensraum, ließen Schößlinge sprießen und hoben neue Ranken aus der Taufe. In der Luft lag der Duft zahlloser Blumen und Kräuter und vermischte sich mit Tiergerüchen. Selbst das durchs Laubdach sickernde Licht zeigte ein üppiges Smaragdgrün.
    Rose und Declan waren im Chaos des Waldes nur zwei Nomaden des Lebens. Zu einer anderen Zeit hätte sie gerne hier gesessen und dem Atem des Waldes gelauscht, heute jedoch konnte sie sich diesen Luxus unmöglich leisten.
    »Vorsicht!«, rief Rose, als Declan vor einem Flecken hell rosafarbener Gräser stehen blieb, die den Teppich aus Kiefernnadeln und Kriechpflanzen durchstoßen hatten. »Sehr giftig!«
    Sie griff nach der nächsten Ranke, pflückte eine Handvoll blassgelber Beeren und reichte ihm ein paar davon. »Zwergkirschen«, erklärte sie.
    Er steckte eine Beere in den Mund. »Schmecken aber wie die richtigen.«
    Sie fand nichts falsch an der Art, wie Declan sich im Wald bewegte – lautlos und leichtfüßig wie ein Wolf. Sein Gesicht wirkte nun wieder verschlossen. Die Härte um seinen Mund war ebenso zurückgekehrt wie der kalte, distanzierte Blick.
    Gegen Éléonores Wunsch hatte sie darauf bestanden, ihn zu begleiten.
    Ihre Großmutter war außer sich gewesen. »Weshalb musst du ihn dahin bringen?«
    »Einer muss es ja tun. Und er kennt sich im Wald nicht aus.«
    »Dann sollen Tom oder Jeremiah mitgehen.«
    »Kann sein, dass wir auf dem Rückweg rennen müssen, als wäre der Teufel hinter uns her, und ich kann wesentlich schneller rennen als Tom oder Jeremiah. Außerdem vertraut er mir. Wenn ich ihn begleite, wird er viel entspannter sein.«
    Éléonore hatte die Lippen geschürzt. »Mir wär’s lieber,

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