Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
du würdest nicht gehen. Ich habe nämlich nur eine Enkeltochter.«
Wenn sie ihn jetzt so ansah, gewann sie den Eindruck, dass er es auch lieber gesehen hätte, wenn sie zu Hause geblieben wäre. »Es passt dir nicht, dass ich dir helfe, wie?«, fragte sie ihn endlich.
»Ich wünschte, ich müsste mich nicht auf dich verlassen.«
»Du hast mir nicht gerade den Arm auf den Rücken gedreht. Schließlich ist es meine Heimat, die überfallen wird, und meine Familie, die im Fadenkreuz steht.«
»Das verstehe ich.« Er schüttelte den Kopf. »Aber es gibt Berufssoldaten, damit Zivilisten nicht selbst kämpfen müssen. Wir tun, was wir tun, damit Menschen wie du nachts ruhig schlafen können. Aber ich bin von einer Zivilistin und der Gabe eines Kindes abhängig. Und ob mir das nicht passt! Und das sollte es auch nicht.«
»Falls ich mit dir gehe –«, setzte sie an.
Er hob ruckartig den Kopf und sah sie an.
»Falls ich mit dir gehe und wir zusammen sein wollen, ziehst du irgendwann in einen Einsatz und ich bleibe allein zurück, laufe unruhig auf und ab, kaue an den Fingernägeln und hoffe, dass du heil zurückkommst.«
»Es ist ja nicht immer so dramatisch«, widersprach er leise.
»Aber oft gefährlich.«
»Ja«, gab er zu.
»Was müsste ich tun, damit ich mit dir losziehen kann?«, wollte sie wissen.
Er blickte sie frostig an. »Um dich als Einsatzkraft registrieren zu lassen, müsstest du einige Sicherheitsüberprüfungen und Eignungstests absolvieren. Aber das ist keine gute Idee. Dann würde ich mich mehr um dich als um den Einsatz sorgen.«
Sie lächelte. Er hatte nicht Nein gesagt. »Dann müsste ich vermutlich so gut werden, dass du dir um mich keine so großen Sorgen mehr machen musst. Ich hoffe, du bist ein guter Lehrer.«
»Du bist eine unmögliche Frau«, grollte er.
»He, ich bin nicht bei dir aufgekreuzt und habe von dir verlangt, herausgefordert zu werden. Du warst der Armleuchter, der mich ausgesucht hat, also beschwer dich gefälligst bei dir selbst.«
Sie blieben gleichzeitig am Saum einer schmalen Wiese stehen. Dahinter hatte der Wald seine lebendige Farbigkeit eingebüßt. Die Baumstämme standen kahl, und das Unterholz war zu einem schlaffen Gewirr welker Blätter verdorrt. Von Naturzauber keine Spur mehr. Der Wald lag tot und seltsam konserviert, wie mumifiziert, und ein Hauch aasiger Magie, fremdartig und scharf, verdarb das tote Holz und das vertrocknete Gras. Hätte sie eine Farbe gehabt, wäre sie wohl als purpurfarbener, moderiger Schleim aus dem Wald gesickert. Ein eindeutiges Zeichen für die Präsenz der Bluthunde.
»Ganz schön unheimlich, was die machen«, meinte Rose.
Declan schloss sie einen Moment in die Arme und drückte sie fest an sich. Fast sofort ließ er sie wieder los, hatte jedoch so viel in diese eine ungestüme Umarmung gelegt – Sehnsucht, Verlangen, Sorge, Beruhigung –, dass er sein Leben für sie geben würde. Doch seltsamerweise reagierte sie darauf ungehalten. Kein Mensch sollte in die Lage kommen, dass ein anderer sein Leben für ihn opfern musste. Sie hatte keine Lust, die Last von Declans Tod zu tragen. Die Angst glitt auf den Rücksitz, und kalte Wut übernahm das Lenkrad. Casshorn. Wenn sie auf eine Zukunft mit Declan hoffen wollte, oder selbst auf ein Leben ohne ihn, mussten sie Casshorn und die Bluthunde vernichten. Einen anderen Weg gab es nicht.
Declan würde bei ihr sein und bis zum letzten Atemzug kämpfen. Also musste sie dasselbe tun.
Gemeinsam betraten sie den verwüsteten Wald.
Zwanzig Minuten später lag Rose neben Declan am Rand einer Schlucht. Vor ihnen fiel der Boden steil ab. Am tiefsten Punkt stand ein seltsamer Apparat, ein Gewirr aus Zahnrädern und beweglichen Teilen, als hätte ein riesiger, von Übelkeit befallener Wecker seine Eingeweide ausgekotzt und sein Innerstes nach außen gekehrt. Wie ein großer Klumpen Zuckerwatte aus leuchtendem Nebel schwebte im Zentrum der Maschine ein längliches, silbrig glänzendes Gebilde.
Rund um die Maschine lagen dicht an dicht Bluthunde wie Streichhölzer in ihrer Schachtel. Rose versuchte sie zu zählen. Hundertzwölf. Hundertdreizehn. Hundertundzuviele. Wenn die uns entdecken, reißen sie uns in Stücke .
Die Magie, die aus der Schlucht aufstieg, ließ sie beinahe würgen. Sie erfüllte die Senke, kroch über den Boden und den Abhang hinauf, als sei sie zu schwer, um sich einfach aufzulösen. Sie spürte lediglich Rückstände, doch als diese an ihr vorüberglitten, zuckte ihr
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